Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen
nicht ähnlich – ich meine, Erpressung ist doch so etwas Gemeines.«
»Na ja«, meinte Peter, »ich glaube, am besten gehen wir und sehen uns Goyles einmal an. Das Rätsel dieser Mittwochnacht muß schließlich irgendeine Lösung haben, und wenn einer sie kennt, dann er. Parker, alter Freund, wir nähern uns dem Ende der Jagd.«
Nichts verweilet am Mittag
»Weh!« sagte Hiya, »die Empfindungen, die diese Person mit solch untadeliger Ehrbarkeit zum Ausdruck brachte, als die Sonne hoch am Himmel stand und die Wahrscheinlichkeit eines heimlichen Fortgehens aus sicherlich wohlbehütetem Hause so angenehm fern lag, scheinen plötzlich ganz andere zu sein bei Nacht in einem finstern Obstgarten und am Vorabend ihrer Erfüllung.«
The Wallet of Kai-Lung
»Ein Augenblick nach Mittag ist schon Nacht.«
Donne
Mr. Goyles wurde anderntags auf dem Polizeirevier verhört. Mr. Murbles war zugegen, und Mary bestand auf ihrer Anwesenheit. Der junge Mann versuchte sich zuerst ein bißchen aufzuspielen, aber der trockene Ton des Anwalts verfehlte seine Wirkung nicht.
»Lord Peter Wimsey identifiziert Sie«, sagte Mr. Murbles, »als den Mann, der gestern abend einen Mordanschlag auf ihn verübt hat. Mit bemerkenswerter Großmut hat er bisher von einer Anzeige abgesehen. Nun wissen wir ferner, daß Sie in der Nacht, in der Hauptmann Cathcart erschossen wurde, in der Nähe des Jagdhauses von Riddlesdale waren. Sie werden in diesem Prozeß zweifellos als Zeuge geladen werden. Aber Sie würden der Gerechtigkeit einen großen Dienst erweisen, wenn Sie schon jetzt vor uns eine Aussage machten. Dies ist ein freundschaftliches und rein privates Gespräch, Mr. Goyles. Wie Sie sehen ist kein Vertreter der Polizei zugegen. Wir bitten Sie schlicht um Ihre Hilfe. Allerdings sollte ich Sie wohl warnen, daß Sie sich im Falle einer Aussageverweigerung, die natürlich Ihr unbestrittenes Recht ist, den schwersten Verdächtigungen aussetzen würden.«
»Mit anderen Worten, Sie drohen mir«, sagte Mr. Goyles. »Wenn ich nichts sage, lassen Sie mich wegen Mordverdachts verhaften.«
»Um Himmels willen, nein, Mr. Goyles«, antwortete der Anwalt. »Wir würden dann lediglich die Informationen, die wir besitzen, in die Hände der Polizei geben, die damit verfahren würde, wie sie es für richtig hielte. Gott bewahre, nein – alles, was auch nur nach Drohung aussähe, wäre höchst ungesetzlich. In der Frage des Anschlags auf Lord Peter wird Seine Lordschaft natürlich nach eigenem Gutdünken verfahren.«
»Schon gut«, sagte Mr. Goyles mürrisch, »nennen Sie's, wie Sie wollen, aber es ist eine Drohung. Dabei macht es mir gar nichts aus, zu reden – zumal Sie ganz schön enttäuscht sein werden. Wahrscheinlich hast du mich verpfiffen, Mary.«
Mary errötete indigniert.
»Meine Schwester hat sich Ihnen gegenüber außerordentlich loyal verhalten, Mr. Goyles«, sagte Lord Peter. »Ich kann sogar sagen, daß sie sich Ihretwegen größten Unannehmlichkeiten – um nicht zu sagen Gefahren – ausgesetzt hat. Ihr Weg nach London konnte deshalb verfolgt werden, weil Sie bei Ihrem überaus eiligen Rückzug eindeutige Spuren hinterlassen hatten. Als meine Schwester dann versehentlich ein Telegramm öffnete, das mir unter meinem Familiennamen nach Riddlesdale geschickt worden war, ist sie stehenden Fußes nach London geeilt, um Sie zu schützen, so gut sie konnte und ohne Rücksicht auf ihre eigene Person. Glücklicherweise war mir der Wortlaut des Telegramms auch in meine Londoner Wohnung übermittelt worden. Dennoch war ich mir Ihrer Identität so lange nicht sicher, bis ich Ihnen im Sowjet-Club zufällig begegnete. Da allerdings gaben mir Ihre energischen Bemühungen, einem Gespräch mit mir auszuweichen, nicht nur die völlige Gewißheit, sondern außerdem einen ausgezeichneten Grund, Sie festnehmen zu lassen. Ich muß sagen, ich bin Ihnen für Ihre Hilfe ausgesprochen dankbar.«
Mr. Goyles machte ein böses Gesicht.
»Ich weiß nicht, wie du denken konntest, George –« sagte Mary.
»Was ich denke, braucht dich nicht zu kümmern«, sagte der junge Mann grob. »Mittlerweile wirst du ihnen ja sowieso alles erzählt haben. Nun gut, ich will Ihnen meine Geschichte so kurz wie möglich schildern, und Sie werden sehen, daß ich alles ganz genau weiß. Wenn Sie mir nicht glauben, kann ich's nicht ändern. Ich bin gegen Viertel vor drei angekommen und hab die Karre auf dem Feldweg abgestellt.«
»Wo waren Sie um elf Uhr fünfzig?«
»Auf der Straße
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