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Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen

Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen

Titel: Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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»Ich kann mich noch erinnern, sie in jungen Jahren gesehen zu haben. Wir alten Knaben haben immerhin den Trost einiger wunderschöner Erinnerungen.«
    »Sehr richtig, Sir«, meinte Peter, »und Sie werden noch viele, viele weitere sammeln. Aber was hat dieser alte Herr sich dabei gedacht, so einen Jahrgang über die Blüte hinaus reifen zu lassen?«
    »Mr. Featherstone war ein sehr sonderbarer Mensch«, sagte Mr. Murbles. »Und doch – ich weiß nicht. Vielleicht war er auch nur sehr, sehr weise. Er war berühmt für seinen extremen Geiz. Hat sich nie einen neuen Anzug gekauft, nie einen Tag Urlaub gemacht, nie geheiratet und sein Leben lang in derselben dunklen, engen Wohnung gehaust, in der er schon als blutjunger Anwalt wohnte. Dabei hatte er ein großes Vermögen von seinem Vater geerbt, aber das hat er nur immer weiter anwachsen lassen. Den Portwein hatte noch sein alter Herr, der 1860 gestorben ist, in den Keller gelegt, als mein Klient vierunddreißig Jahre alt war. Er – der Sohn, meine ich – war sechsundneunzig, als er verstarb. Er sagte immer, keine Freude reiche ja an die Vorfreude heran, und demzufolge lebte er wie ein Einsiedler – tat nie etwas, plante aber immerzu alle die Dinge, die er hätte tun können. Er hat ein ausführliches Tagebuch hinterlassen, in dem er Tag für Tag seines Phantasielebens festgehalten hat, ohne je zu wagen, dieses an der Wirklichkeit zu messen. In dem Tagebuch ist zum Beispiel ein glückliches Eheleben an der Seite der Frau seiner Träume genau beschrieben. Jedes Jahr zu Weihnachten und Ostern wurde eine Flasche von dem 47er feierlich aufgetischt und ebenso feierlich – und ungeöffnet – wieder abgeräumt, wenn das karge Mahl beendet war. Als gläubiger Christ genoß er auch die Vorfreude auf die Glückseligkeit nach dem Tode, aber wie Sie sehen, hat er auch dieses Vergnügen so lange wie möglich hinausgeschoben. Er starb mit den Worten: ›Der ist treu, der verheißen hat‹ – bis ans Ende mußte er sich dessen versichern. Ein einzigartiger Mensch, wirklich einzigartig – vom Abenteuergeist der heutigen Generation trennten ihn Welten.«
    »Wie absonderlich und rührend«, meinte Mary.
    »Vielleicht hatte er irgendwann einmal sein Herz an etwas Unerreichbares gehängt«, sagte Parker.
    »Nun, ich weiß nicht«, sagte Mr. Murbles. »Es hieß, die Dame seiner Träume sei nicht immer nur ein Traum gewesen, er habe sich nur nie entschließen können, ihr einen Antrag zu machen.«
    »Na ja«, sagte Sir Impey entschieden, »je mehr ich vor Gericht zu sehen und zu hören bekomme, desto mehr neige ich zu der Ansicht, daß Mr. Featherstone den besseren Teil erwählt hat.«
    »Und sind entschlossen, seinem Beispiel zu folgen – jedenfalls in dieser Hinsicht, nicht wahr, Sir Impey?« entgegnete Mr. Murbles mit nachsichtigem Lächeln.
    Mr. Parker warf einen Blick zum Fenster. Es begann zu regnen.
    Der 47er Portwein, daran war nicht zu zweifeln, war tot; von seinem früheren Feuer und Aroma war nur noch der ärmlichste Hauch zu spüren. Lord Peter hielt einen Augenblick sein Glas reglos in der Hand.
    »Es ist wie der Nachgeschmack einer Leidenschaft, die den Zenit überschritten hat und müde geworden ist«, sagte er mit plötzlichem Ernst. »Man kann nur noch tapfer anerkennen, daß er tot ist, und ihn beseitigen.« Und mit einer entschlossenen Bewegung schleuderte er den Inhalt seines Glases ins Feuer. Nun trat das spöttische Lächeln wieder in sein Gesicht.
    »Was an Clive mir gefällt
Ist, daß er nicht mehr lebt auf der Welt –
Drum weiß ich wenig nur, das nicht
Fürs Totsein spricht .
    Welch klassische Aussagekraft und Kürze in diesen vier Zeilen! – Um aber auf unsern Fall zurückzukommen, Sir, wir haben Ihnen eine Menge zu berichten.«
    Mit Parkers Unterstützung erklärte er den beiden rechtskundigen Herren den ganzen bisherigen Gang der Ermittlungen, und Lady Mary steuerte brav ihre Version von den Ereignissen jener Nacht bei.
    »Sie sehen also«, sagte Peter, »daß dieser Mr. Goyles viel dadurch verloren hat, daß er nicht der Mörder ist. Wir finden, er hätte als finsterer Mitternachtsmörder eine gute Figur gemacht. Aber nachdem die Dinge nun so stehen, wie sie stehen, müssen wir aus ihm als Zeugen herausholen, was herauszuholen geht, nicht?«
    »Nun, Lord Peter«, sagte Mr. Murbles bedächtig, »ich muß Ihnen und Mr. Parker gratulieren zu dem Fleiß und der Findigkeit, mit denen Sie das so weit herausbekommen haben.«
    »Ich finde, wir haben doch

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