Scalzi, John - Metatropolis (Erzählungen)
verschwindet er wieder im Wald und lässt Otis mit dem Neuling allein, damit er ihn einweisen kann.
Das Granittor steht als unbewachter Trilith da, der aussieht, als würde er in ein früheres historisches Zeitalter führen. Cardoza ist klug genug, nicht in einem scheinbar stillen Moment loszustürmen. Es gibt Fallstricke, Kameras und ruhende Wächter mit leichtem Schlaf. Nein, für die Gelegenheit, die sich ihr bietet, will sie Prinzipien der angewandten Sozialwissenschaft nutzen.
Der Neuling kann nicht einmal sein Hemd von seinen Schuhen unterscheiden, so viel steht fest. Etwas geht in der Stadt vor sich, wenn die erfahreneren Sicherheitskräfte abgezogen werden. Cardoza glaubt, dass er den Befehl hat, auf jeden zu schießen, der die Grenze überschreitet – in diesem Fall der Weg, der von der alten Eisenbahn-Bockbrücke hinunter in die Schlucht und auf der anderen Seite hinauf zum Granittor führt.
Immer noch stolpert der Neuling durch die Dunkelheit und lässt sich von Otis die Grenzmarkierungen zeigen, die gefärbten Steine, die als Schießstände für den Verteidigungsfall dienen, die sichtbaren und die unsichtbaren Pfade – die er sich einprägen muss, aber schon bald wieder vergessen haben wird. Cardoza weiß ganz genau, dass es keinen Sinn hat, sich Otis vorzunehmen, aber sie ist sich ziemlich sicher, dass sie den Neuling davon abhalten kann, sie zu rösten, wenn sie über den öffentlichen Weg kommt.
Es ist viel Zeit und Mühe nötig, um jemanden zum Töten auszubilden. Der Neuling sieht nicht danach aus. Er ist ein Platzhalter, er füllt eine Lücke aus, bis jemand ein paar Schießübungen mit ihm machen und ihn dazu bringen kann, auf einen alternden Yuppie oder irgendetwas anderes zu schießen, nur zum Eingewöhnen.
Cardoza entspannt sich und knabbert einen Heidelbeerriegel. Ein einheimisches Erzeugnis aus den Sümpfen an der Mündung des Columbia. Als wäre sie ein Grünling. Immerhin waren sie nicht völlig verrückt. Nur ein schlechtes Beispiel für falsch gewählte Prioritäten. Sie behält das Granittor im Auge, während Otis und der Neuling herumspazieren. Sie horcht auf den Tonfall ihrer Stimmen, als sie miteinander flüstern wie Bullen, die durch ein Weizenfeld trampeln.
Dezent, diese jungen Männer waren immer so dezent. Sie lächelt in der Dunkelheit und setzt das Auskundschaften mit den Ohren fort.
Irgendwann ziehen sich die Stimmen zurück, hallen durch die Schlucht, und Abschiedsgrüße werden gemurmelt. Cardoza bemerkt nie den Rhythmus von Herausforderung und Reaktion. Also ist der Neuling wirklich nur ein Platzhalter und nicht mehr. Was, zum Teufel, geht da oben vor sich? Zu ihrer Zeit hat sie nie etwas annähernd so Nachlässiges erlebt. Das war lachhaft, ein Pfusch, den sie höchstens von den Edgewater-Sicherheitsleuten bei Boeing-Mitsubishi oder Microsoft erwarten würde.
Bei den Parametern dieser Mission hat man ihr aus gutem Grund einen großen Spielraum gegeben. Diesen Grund hat sie soeben gefunden, falls sie ihn nutzen will. Trotzdem bleibt es gefährlich, einfach hinaufzugehen. Sie müsste in Hörweite kommen, um ein Redespiel zu beginnen. Der Neuling könnte nervös werden und Glück haben, und vielleicht würde ihm tatsächlich ein Kopfschuss gelingen.
Aber Cardoza wird nicht dafür bezahlt, gut auf sich achtzugeben, sie wird dafür bezahlt, clever zu sein. Und dies könnte ein sehr cleverer Weg sein, um in Cascadiopolis hineinzukommen, während sie Schritt für Schritt eskortiert wird.
Sie richtet sich wieder auf und zoomt den Neuling mit dem Skop heran. So weit von jeder Energiequelle entfernt scheint das Sternenlicht fast zu pulsieren, aber es bleibt so schwach wie sonst auch. Trotzdem ist das Skop intelligent genug, damit zurechtzukommen, zumindest solange noch Licht vom Himmel kommt. Der Neuling wirkt nervös und scheint sich jeden Moment übergeben zu wollen. Er betastet sein Gewehr so, wie sich ein Vierzehnjähriger vorstellt, wie eine Frau berührt werden möchte. Cardoza verschluckt ein lautloses Lachen.
Seine Pickel sind tatsächlich schlimmer als die von Otis. Junge , denkt sie, nach dieser Nacht wirst du nie wieder Wache schieben müssen. Das verspreche ich dir.
Aus einem anonym verfassten Rückblick auf die Geschäftspraktiken vom frühen bis mittleren 21. Jahrhundert, als kreatives Gemeingut veröffentlicht:
Obwohl alle Unternehmen als solche historisch an die hoheitlichen Institutionen gebunden sind, die ihnen die Genehmigung für den
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