Scarlett – Die Liebe hat Augen wie Eis, der Tod hat Augen wie Feuer: Roman
schneiden?«
»Nein, danke.«
»Deine Mama hat aber gesagt, du möchtest einen neuen Schnitt.«
»Ach ja? Das ist immer noch mein Kopf. Du kannst höchstens ein bisschen die Spitzen kürzen.«
Sie schnauft. Ihre Kiefer malmen auf höchst ordinäre Weise auf einem Kaugummi herum. »Wie soll ich neue Schnitte lernen, wenn niemand mir etwas zutraut?«
»Das ist keine Frage des Vertrauens, glaub mir. Aber meine Mutter hat mich dazu gezwungen, hierherzukommen. Sie sagt, das hebt die Laune.«
»Damit hat sie aber wirklich recht! Meine verlangt jeden Sonntag von mir, dass ich ihr die Haare lege.«
Mama ist ganz in ihrem Element. Sie hat den Platz neben mir und plaudert ganz freundlich mit der Friseurin über die neuesten Trends.
»Simona, was hältst du von einem asymmetrischen Schnitt, der von einer violetten Tönung akzentuiert wird?«
»Vielleicht ist das nichts mehr in meinem Alter …«
Ach was! Sie möchte sich nur bitten lassen …
»Nein, das wird ja gar keine richtige Tönung, nur so ein Schimmer. Ich denke, das würde dir ganz toll stehen.«
»Na gut, wenn du das sagst. Die Strähnchen kann ich allmählich nicht mehr sehen.«
»Und du, Scarlett? Hast du dir überlegt, was für einen Schnitt du möchtest?«
»Nein, die lässt mich nichts machen. Da ist ihre Mutter eindeutig aufgeschlossener«, murrt die Auszubildende in meinem Rücken leise. Als ob ich sie nicht hören könnte!
Meine Mutter kann gleichzeitig ein Klatschmagazin durchblättern, Anekdoten über ihre früheren Kunden erzählen und sogar mit dem Mädchen, das sich an meinen Haaren zu schaffen macht, ein paar witzige Bemerkungen über mich austauschen.
»Deine Mutter ist nett.«
Ich seufze tief. Darauf antworte ich lieber nicht.
»Einmal hatte ich eine fünfzigjährige Dame bei mir, die ihr übliches Schwarz satthatte: Sie wollte strahlender aussehen, meinte sie. Ich habe ihr zu einem hellen Braunton geraten, aber sie bestand auf Platinblond.«
»Nein! Hast du ihr gesagt, dass sie am nächsten Morgen beim Blick in den Spiegel einen Schock kriegen würde?«
»Sicher. Ich habe ihr auch gesagt, dass ihr Mann sie nicht mehr wiedererkennen würde. Ein paar Stunden später war sie so blond, wie sie es gewünscht hatte, und weißt du, was sie dann ganz frech zu mir gesagt hat? ›Das ist mir zu hell, ich weiß nicht, ob ich mich so auf die Straße traue.‹ Und dann hat sie mich gezwungen, sie hellbraun zu färben, genau, wie ich es ihr vorher vorgeschlagen hatte.«
Sie lachen gemeinsam. Wenn Simona doch bloß auch zu Hause so wäre.
Eine Stunde später habe ich eine so bombenfest sitzende Frisur wie eine Puppe, Kopfschmerzen und eine Mutter mit violetten Haaren.
72
H allo, Oma, wie geht es dir?«
» I’m fine . Also für mein Alter, meine ich damit. Erzähl mir lieber was von dir. Letzten Sonntag hast du dich so abwesend angehört … Bedrückt dich etwas? Probleme verschwinden nicht, nur weil man nicht darüber spricht.« Oma Evelyn redet in ihrem ganz persönlichen Kauderwelsch aus Italienisch und Englisch, je nachdem, was in ihren Ohren besser klingt. Wenigstens hat sie heute nicht wieder einen von ihren full-immersion -Tagen, an denen sie mich zwingt, nur Englisch mit ihr zu reden. »Think English«, sagt sie dann immer. Zurzeit kostet es mich schon genug Kraft, in meiner Muttersprache zu denken.
»Das Problem ist, dass ich eine Entscheidung getroffen habe … von der ich annahm, sie sei richtig. Aber je mehr Zeit vergeht, desto mehr frage ich mich, ob sie das tatsächlich war.« Ich halte den Hörer zwischen Schulter und Ohr geklemmt und streichele mit beiden Händen meine einäugige Giraffe.
»Wir kommen auf diese Welt wie Schauspieler, die bei der wichtigsten Szene im Stück ohne Probe ins kalte Wasser geworfen werden. Die Generalprobe ist das Leben selbst. Da ist es ganz normal, wenn man sich irrt … aber aus Fehlern lernt man.«
Mir gefällt die Vorstellung, dass ich eine Schauspielerin bin. Ich gebe die Julia, meine Haare sind zu einem langen blonden Zopf geflochten. Vom Balkon aus spreche ich in Versen zu meinem Geliebten. Und dann schlage ich ihm beim ersten Problem die Tür vor der Nase zu und sage ihm, er soll sich nicht mehr blicken lassen. Oh mein Gott, was habe ich getan!
»Ich bin zu impulsiv. Ich habe alles verdorben«, denke ich laut.
» It’s never too late . Wenn man einen Fehler wiedergutmachen will, muss man es bloß ehrlich wollen. Wenn ich nicht dreimal geheiratet hätte, dann hätte ich Giulio
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