Scarlett – Die Liebe hat Augen wie Eis, der Tod hat Augen wie Feuer: Roman
schon.«
Ich starre auf meine Schüssel mit Milch, rühre lustlos das Müsli um. Mein Magen ist wie zugeschnürt, und ich bringe keinen Bissen herunter. Am liebsten würde ich einschlafen, alles ausblenden und ein paar Monate später wieder aufwachen. Doch würde das genügen? Ich bezweifle es.
»Willst du nichts essen?«
»Ich habe keinen Hunger.«
»Du solltest dich dazu zwingen. Das Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages, ohne Zucker kann das Gehirn nicht arbeiten.«
Genau das möchte ich ja verhindern! Auch heute muss mir meine Mutter unbedingt sagen, was ich zu tun habe. Im Grunde ist das ja auch ganz normal, für sie hat sich nichts geändert. Nur für mich scheint eine Welt zusammengebrochen zu sein. Von meinen Träumen ist nur ein Scherbenhaufen übrig geblieben.
»Und Papa?«, frage ich, um das Thema zu wechseln.
»Der ist früh aus dem Haus … wie immer.« Sie fängt an, das Kochfeld zu putzen. Ich fand eigentlich, dass es schon vorher glänzte.
69
D er Himmel verbreitet ein weißes, gleichförmiges Licht.
»Es wird bald schneien«, sagt Genziana.
Ich reiße mich aus meinen Gedanken und zwinge mich zu einem Lächeln. Caterina liegt auf dem Sofa mit dem grafisch gemusterten Bezug im Retrolook und redet ununterbrochen, aber ich habe den Faden verloren.
Die orangefarbene Lavalampe auf dem Beistelltisch scheint gleich zur Decke abheben zu wollen.
Genzianas kleine Wohnung wirkt sehr gemütlich und ist im Stil der Siebziger eingerichtet. Aus einem Foto in einem gelben Rahmen lächelt uns ihre Mutter entgegen. Sie trägt Schlaghosen und eine Bluse mit Blumenmuster. Mutter und Tochter gleichen einander tatsächlich wie ein Ei dem anderen: dieselben schmalen grünen Augen, Sommersprossen über das ganze Gesicht und die gleiche rote Mähne.
Ich frage mich, ob seit ihrem Tod hier nichts verändert wurde und sie all die Dinge, die diese Wohnung so schön bunt machen, noch selbst ausgesucht hat.
»Hast du die Gewürzkräuter mit nach Hause genommen?«, fragt Caterina.
»Nur die empfindlichsten. Ich hatte Angst, dass sie bei der Kälte eingehen würden.« Das Zimmer ist nicht sehr groß, ein bunter Perlenvorhang trennt die Kochnische ab. »Möchtet ihr einen Kräutertee?«
»Sehr gern! Heute will mir einfach nicht warm werden … Das wird wohl an diesem scheußlichen Wetter liegen!« In Wirklichkeit spüre ich diese Kälte in mir, seit ich Mikael aus meinem Leben verbannt habe.
Genziana stellt den Wasserkessel auf den Herd und holt aus kleinen Glasgefäßen einige getrocknete Blätter. Auf den Etiketten lese ich: Melisse, Minze. Ich gehe ans Fenster zurück und schaue hinaus. Ein paar Schneeflocken schweben herab.
»Der erste Schnee des Jahres!«, schreit Caterina begeistert.
»Wünsch dir was«, sagt Genziana, während sie mit dem Geschirr klappert.
Mir kommt bloß ein Wunsch in den Sinn. Schnell verjage ich ihn wieder und setze mich zu Caterina auf das Sofa.
»Umberto hat aufgehört, sich so komisch zu verhalten. Und da heißt es immer, Frauen sind launisch. Was soll man dann erst über die Männer sagen? Erst ignoriert er mich und läuft meiner besten Freundin hinterher … Oops! Also, ich wollte sagen … einer meiner besten Freundinnen …«
»Das habe ich gehört!«, zieht Genziana sie auf.
»… dann ist er plötzlich wie ausgewechselt, tut so, als hätte er sich bis über beide Ohren in mich verliebt und löchert mich mit Fragen. Und schließlich ist er von einem Tag auf den anderen wieder der Freund von vorher. Höflich, aber distanziert!«
Genziana kommt mit einem Tablett mit drei dampfenden Tassen und Gewürzplätzchen zu uns. Sie setzt es auf dem Beistelltisch ab, wirft ein großes Kissen auf den Boden und hockt sich darauf.
»Hast du jetzt erst herausgefunden, dass Männer seltsame Wesen sind? Aber du weißt doch, Angriff ist die beste Verteidigung: Deswegen werfen sie uns ihre Fehler vor.«
»Und du, wie kommst du damit klar?«, frage ich Cat.
»Ach, ehrlich gesagt ganz gut. Sein plötzliches Interesse für mich hat mich eher verwirrt, auch weil ich nicht begriffen habe, was er wirklich bezweckt hat. Jetzt bin ich viel ruhiger. Zumindest hatte ich meinen ersten Kuss. Es ist immer sehr peinlich, wenn man zugeben muss, dass man noch nicht …«
Mikael und ich haben uns nie geküsst. Und dabei habe ich mir so oft vorgestellt, wie das wohl wäre.
»Alles in Ordnung mit dir, Scarlett?«
Die Zehn-Millionen-Dollar-Frage. Die Frage, die mir in letzter Zeit alle
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