Scatterheart
eine bequemere Schlafstellung zu finden, aber jedes Mal, wenn sie sich bewegte, wurde sie von Steinen und Wurzeln gestört.
Am nächsten Tag war Molly sehr still. Hannah wollte ihr das Märchen von Rotkäppchen und dem bösen Wolf erzählen, aber Molly war kühl und abweisend.
Das Gelände stieg wieder an. Seltsame Bäume waren so ineinander verschlungen, als wollten sie sich gegenseitig ersticken.
Von manchen Bäumen pellte sich die Borke in langen Streifen ab, andere hatten eine weiche, dünne Rinde, die sich wie Papier abziehen ließ. Ein paar Mal sah Hannah durch das dichte Blätterdach die drei gelben Felsspitzen hervorlugen, aber es hatte nicht den Anschein, als ob sie näher gerückt wären.
Sie entdeckten nicht nur zerklüftete gelbe Felsen, sondern auch eigenartige graue, kahle Gesteinsflächen, die wie Meereswellen geformt waren. Als die Sonne hoch am Himmel stand, kamen sie an einem solchen Felsen vorbei. An seinen beiden Enden befanden sich beckenähnliche Vertiefungen. Der Stein dazwischen war oben abgeflacht.
»Sieht aus wie ein Tisch mit Stühlen«, lachte Hannah.
Molly betrachtete den Fels schräg von der Seite und Hannah stellte ihre Tasche darauf ab.
»Weißt du was, wir geben jetzt eine Teegesellschaft«, schlug sie vor.
Molly schaute sie verdutzt an. Hannah drückte sie in die eine Vertiefung und nahm selbst in der anderen Platz. Sie reichte Molly die Wasserflasche.
»Meine Liebe, schenken Sie sich doch ein«, sagte sie.
Molly starrte sie einen Augenblick unsicher an, dann lächelte sie. »Ja, natürlich«, antwortete sie, nahm ein Schlückchen und reichte die Flasche zurück.
»Ah, wie erfrischend«, sagte Hannah und tupfte ihre Mundwinkel mit dem Ärmel ab. »Ach, was haben wir denn hier?«
Sie holte das letzte Stückchen Brot hervor. Es war steinhart und am Rand von einer bläulichen Schimmelschicht bedeckt.
»Frische Zimtplätzchen!«, rief Hannah. »Duften sie nicht köstlich?«
Molly atmete tief ein und nickte.
»Und ein edler französischer Camembert«, sagte Hannah und legte einen Krümel Käse auf den Steintisch. »Aus den besten Käsereien der Normandie.«
»Was gibt es noch?«, fragte Molly. Ihre Augen glänzten wie schon seit Tagen nicht mehr.
Hannah langte wieder in die Tasche.
»Ein köstliches Spanferkel, am Spieß gebraten, mit Pastinaken und Kartöffelchen garniert.«
»Hat es auch einen Apfel im Maul?«, fragte Molly.
»Selbstverständlich«, entgegnete Hannah und legte das letzte Fleischstückchen der Eingeborenen auf den Tisch.
»Nicht schlecht«, sagte Molly fröhlich.
Sie machten sich über das Essen her und kosteten mit geschlossenen Augen die feinen Speisen.
»Bedienen Sie sich«, forderte Hannah Molly auf, »aber lassen Sie noch Platz für den zweiten Gang!«
»Was gibt es als zweiten Gang?«
»Entenpastete nach Art des Hauses mit Pflaumenmus und gedünstetem Gemüse. Außerdem Rollaal und ein Süppchen von Tauben mit Trüffel und Rote Beete. Und natürlich Kalbsfußsülze.«
Molly fasste sich an den Bauch. »Halt! Ich platze fast.«
Hannah lachte. »Und ich habe noch nicht einmal mit dem Nachtisch begonnen.« Sie machte die Augen zu. »Alle Schüsseln sind abgetragen. Ein frisches Tischtuch wird aufgelegt. Dann kommt der Nachtisch. Eine Miniaturausgabe von Vauxhall Gardens ganz aus Zuckerguss. Der Zucker glitzert im Kerzenlicht. Im Pavillon ist ein winziges Orchester und es gibt sogar einen Seiltänzer aus Zucker. So etwas Schönes hast du noch nie gesehen. Es ist so zart und kostbar, dass man es nicht zu essen wagt, um es nicht zu zerstören.«
Molly sah sie besorgt an. »Aber wir essen doch davon, oder?«
»Natürlich«, sagte Hannah und lachte.
Molly seufzte zufrieden. »So eine tolle Schlemmermahlzeit.« Sie wand sich ein wenig und rubbelte sich die Arme.
»Nur das Feuer müsste etwas wärmer sein, es ist so kalt. Könntest du Peter bitten etwas nachzulegen?«
Hannah kicherte. »Wer ist Peter?«
Molly schloss die Augen. »Hoffentlich hat Catherine mein Bett angewärmt, Mama.«
Hannah hielt den Atem an. »Ist Catherine deine Schwester?«, fragte sie.
»Gute Nacht, Mama«, gähnte Molly nur.
Sie hatte nie etwas von ihrem Leben vor der Sträflingszeit erzählt. Hannah hatte angenommen, dass sie immer schon auf der Straße gelebt hatte. Nun überlegte sie, wasgeschehen sein mochte, dass ihre Familie sie verlassen hatte. Hannah streckte die Hand aus und streichelte das Mädchen behutsam.
»Komm, Molly. Wir müssen weiter.«
Molly hob
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