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Scatterheart

Scatterheart

Titel: Scatterheart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lili Wilkinson
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dem Felsüberhang ab.
    »Molly«, rief sie wieder. Keine Antwort. Molly war verschwunden. Hannah entfernte sich taumelnd von dem Felsvorsprung, jeder Schritt hallte in ihrem Körper wider.
    »Molly, mir ist endlich eingefallen, wie das Märchen ausgeht.«
    Sie war so durstig. Könnte sie nur zum Schnee hinunter und ihren Durst stillen.
    »Scatterheart findet das Schloss doch noch, Molly«, sagte sie. »Sie findet das Schloss und es ist ganz aus Eis und von Schneefeldern umgeben.«
    Der Schnee war nur noch ein paar Schritte von ihr entfernt, aber er sah irgendwie unwirklich aus. Der flammende Himmel tauchte alles in ein seltsames rosafarbenes Licht wie in einem Ölgemälde. Sie lehnte sich an einen Baum und schöpfte Atem.
    »Scatterheart geht zum Schlosstor hinauf, aber …«
    Sie stieß sich vom Baum ab und stapfte zum Schnee hinüber. Als sie ihn erreicht hatte, wirbelte er kurz auf und hüllte sie dann ganz in sich ein.
    Es war gar kein Schnee, es war Nebel.
    Hannah erinnerte sich, dass sie in London in der Diele gekauert und ihren Kopf an die Haustür gelegt hatte, alsThomas im Nebel verschwunden war. Sie erinnerte sich auch, wie der Nebel den Frostmarkt verschluckt hatte. Dieser aber war anders. Er war rein und weiß, leicht und kühl. Es war nicht der erstickende, dunkle, krank machende Dunst von London.
    Sie hörte das Knacken von Stöcken und Zweigen und stolperte blind weiter. Es war ihr gleichgültig, ob es James, Dr. Ullathorne oder der Gerichtsdiener aus London war.
    Arme streckten sich ihr entgegen und packten sie an der Schulter. Dankbar ließ sie sich in sie hineinfallen. Sie spürte schmutziges, steifes Leinen an ihrer Wange und starke Hände, die sie hochhoben.
    »Aber das Schlosstor hat weder einen Schlüssel noch ein Schloss«, murmelte sie, »nicht einmal eine Türklinke.«
    Dann wirbelte wieder Nebel auf und verschluckte sie.

Schließlich kam Scatterheart zu dem Schloss, das östlich der Sonne und westlich des Mondes lag. Das Tor war verschlossen und Scatterheart sah weder eine Klinke noch ein Türschloss. Sie brach die letzte Eichel auf, die der Nordwind ihr gegeben hatte, und fand darin zu ihrer Überraschung nur einen Kern. Scatterheart warf ihn zu Boden und weinte bitterlich.
    Hannah lag in einer großen Höhle. Davor, auf einer kleinen, sandigen Lichtung, brannte ein Feuer. Ihr Körper fühlte sich schwach und zerbrechlich an. Ihr Mund war ausgetrocknet.
    Neben sich nahm sie eine Bewegung wahr, eine Hand mit einer Glasflasche kam auf sie zu.
    »Hier«, sagte eine Stimme. »Trink.«
    Hannah nahm die Flasche und hielt sie sich an die Lippen. Das Wasser war überraschend kalt. Sie blinzelte, um ihren Kopf wieder freizubekommen.
    »Molly …«, flüsterte sie. Ihre Stimme klang rau.
    »Molly ist hier«, sagte die Stimme. »Es geht ihr gut. Sie spielt draußen.«
    Hannah drehte ihren Kopf zu der Stimme.
    Sie wagte es nicht zu sprechen. Er sah so anders aus. Fast fürchtete sie sich ein bisschen. Und sie ahnte auch, dass sie nicht die Kraft hatte, ihre Freude laut genug herauszuschreien.
    Sein Körper wirkte nicht mehr zart, sondern hager und gestählt. Seine ehemals blasse Haut war braun und rissig – als wäre sie ständig Schmutz und Wetter ausgesetzt. Die Haare waren gewachsen und grob nach hinten gebunden. Er war unrasiert. Die dunkle Hose, die er trug, war die eines Bauern und die aufgekrempelten Ärmel seines fleckigen, löcherigen Leinenhemdes entblößten das dichte blonde Haar auf seinen Armen. Sie erkannte ihn kaum wieder.
    »Thomas«, brachte sie heraus.
    Er lächelte eigenartig und blickte zur Seite. Hannah errötete. Wie musste sie für ihn aussehen? Schmutzig und zerkratzt von ihrer Wanderung durch die Wildnis. Die Haare kurz und strubbelig. Das Kleid dreckig und zerrissen. Und das Gesicht rot und aufgesprungen. Sie tastete mit ihrer Zunge nach der Zahnlücke. Der Zahn, den sie damals in der Flaute verloren hatte.
    »Ich sehe bestimmt schrecklich aus«, sagte sie unsicher.
    »Ich kann dich kaum erkennen«, entgegnete er. Er sprach langsam, als sei er das Sprechen nicht mehr gewohnt.»Das Licht in der Höhle ist so schlecht und ohne meine Brille …«
    »Oh«, machte Hannah ein wenig erleichtert.
    Thomas nahm ihr die Wasserflasche ab und stellte sie hinter sich. Hannah setzte sich mühsam auf. Das Schweigen war ihr unbehaglich. So hatte sie sich ihr Wiedersehen nicht vorgestellt.
    »Es tut mir leid«, sagte sie schließlich. »Wegen deiner Brille. Ich hatte sie, habe sie dann aber

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