Scatterheart
den Wilden geschenkt. Also, verschenkt habe ich sie eigentlich nicht. Sie haben sie genommen. Ich hatte keine andere Wahl.« Sie plapperte einfach drauflos. Thomas lächelte wieder so eigenartig.
»Du bist ihnen begegnet?«, fragte er. »Ich habe sie bisher nur von Weitem gesehen. Ich würde sie gern einmal richtig kennenlernen.«
»Ich hatte Angst«, erwiderte Hannah. »Was man alles über sie hört …«
Thomas machte eine wegwerfende Geste. »Das ist nur Gerede. Die Menschen haben immer Angst vor Dingen, die sie nicht verstehen.«
Hannah konnte sich nicht erklären, was los war. Thomas freute sich anscheinend gar nicht sie zu sehen. Überhaupt schien er unglücklich zu sein. Wo war das Funkeln in seinen Augen geblieben? Sie schaute ihn von der Seite an. Sein Blick war stumpf wie das Meer bei Flaute.
»Alles in Ordnung?«, fragte sie.
»Bestens«, antwortete er mit diesem eigenartigen Lächeln. Hannah überlegte, was daran so merkwürdig war. Es war kein glückliches Lächeln. Sie musste plötzlich daran denken, dass Thomas sich angeblich in eine Sträflingsfrau verliebt hatte. War das der Grund? Hatte Thomas das Gefühl, dass die falsche Frau zu seiner Rettung gekommen war?
»Bist du hungrig?«, fragte er.
»Nein«, entgegnete Hannah. Ihr Magen krampfte sich zusammen.
Thomas stand auf. »Du solltest aber etwas essen«, sagte er und wühlte in einem Sack, der hinter ihm stand.
Hannah blickte sich in der Höhle um. Sie lag auf einem einfachen Lager aus trockenem Laub, über das eine Hanfdecke gebreitet war. An der Wand standen ein paar mit Wasser gefüllte Glaskrüge, außerdem eine Büchse mit Reis und ein schwarzer Kessel. Im hinteren Teil der Höhle waren kleine geschnitzte Holzfiguren aufgereiht. Tiere. Hannah lächelte, als sie ein Känguru und einen Bären entdeckte. Hinter den Figuren sah sie einen kleinen Stapel viereckiger Gegenstände.
»Du hast Bücher!«, rief Hannah aus.
Thomas errötete leicht. »Ich weiß, es ist dumm«, sagte er. »Ich kann sie ohne Brille kaum lesen. Ich hätte mehr Lebensmittel und Decken und ein sauberes Hemd mitnehmen sollen. Aber die Vorstellung, allein hier oben zu sein und nichts zu lesen zu haben, war mir unerträglich.«
»Ich finde nicht, dass das dumm ist«, meinte Hannah.
»Du weißt gar nicht, wie oft ich mir gewünscht habe, ein paar Bücher dabeizuhaben.«
Thomas nickte. Hannah sah unglücklich zur Seite. Es war alles nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte.
Von draußen waren Schritte zu hören und kurz darauf kam Molly in die Höhle gehüpft. In ihrer Hand hielt sie eine kleine Holzpuppe.
»Hannah!«, quiekte sie. »Du bist wieder gesund.«
»Ich dachte, du wärst diejenige, die krank ist«, lächelte Hannah.
Molly zuckte die Achseln. »Mir ist es wieder besser gegangen«, sagte sie. »Aber auf einmal bist du krank geworden und ich bin losgezogen und habe Mr Bär gefunden. Der hat dich dann geholt. Ich bin dem gelben Stern gefolgt.«
»Ach so, natürlich«, sagte Hannah und kam sich vor wie in einem Traum.
»Ich werde etwas zu essen vorbereiten«, sagte Thomas und verließ die Höhle.
Hannah blickte ihm nach.
»Mr Bär kennt viele neue Märchen«, berichtete Molly strahlend, »und er hat mir aus einem Stecken eine Puppe gemacht.«
Hannah betrachtete die kleine Figur. »Sehr schön«, sagte sie. Ihr war zum Weinen zumute.
»Bist du denn nicht glücklich?«, fragte Molly. »Wir haben Mr Bär gefunden. Und er hat mir das Ende der Geschichteerzählt. Wir leben ab jetzt für immer glücklich zusammen.«
»Ja«, seufzte Hannah. »Wahrscheinlich hast du recht.«
»Hannah?«, fragte Molly noch mal. »Du müsstest jetzt glücklich sein. Wir haben ihn gefunden.«
Hannah nickte. »Aber vielleicht wollte er gar nicht gefunden werden.«
Sie stand auf und ging hinaus. Thomas hatte irgendwelches Gemüse in dicke Blätter gewickelt, die er zum Garen in die Glut legte. Ungefähr zwanzig Fuß von der Feuerstelle entfernt fiel der Berg schroff ab. Hannah sah tief unter sich im Tal den graugrünen Dunst. Ihr wurde schwindelig.
»Thomas …«, sagte sie sanft und berührte seine Hand.
Thomas zog die Hand zurück und stocherte im Feuer.
»Du bist einen weiten Weg gekommen«, stellte er fest.
Hannah schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter. »Ja, einen sehr weiten Weg«, sagte sie. »Aber ich habe dich gefunden und jetzt können wir nach Hause und neu beginnen. Und diesmal werde ich nicht mehr so dumm sein und alles wird gut werden.«
Thomas schaute
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