Schachfigur im Zeitspiel
Bestandteil ihrer Welt gemacht. Für ihn war Musik immer wichtig gewesen, aber in seiner Zeit herrschten Tonkonserven vor. Live-Musik hatte er bestenfalls hin und wieder in Konzerten genossen. Die Vorstellung, im eigenen Heim Musik zu machen, war so außergewöhnlich wie der Besitz eines eigenen Teleskops.
»Ich bin überrascht, daß Sie nicht spielen«, sagte Stenog. Er hatte eine Flasche und Gläser hervorgeholt. »Wie wär’s damit? Ein gegorenes Getränk, aus Getreide hergestellt.«
»Ich glaube, daran erinnere ich mich«, erwiderte Parsons belustigt.
Noch immer sehr ernst fuhr Stenog fort: »Soweit ich das verstehe, ist der Alkohol deshalb eingeführt worden, um den Platz der zu Ihrer Zeit recht populären Drogen einzunehmen. Er hat weniger toxische Nebenwirkungen als die Drogen, mit denen Sie wahrscheinlich vertraut sind.« Er öffnete die Flasche und schenkte ein. Der Farbe und dem Geruch nach schätzte Parsons, daß dieses Zeug eine Art Sour Mash Bourbon war.
Er und Stenog saßen da und tranken, während Amy auf dem Cembalo ihre schaurige Version von Dixieland-Jazz spielte. Das Haus war von einer tiefen friedlichen Atmosphäre erfüllt, und er spürte, wie er ein wenig ruhiger wurde. War dies im Grunde etwa doch gar keine so schreckliche Gesellschaft?
Wie kann eine Gesellschaft von einem Individuum beurteilt werden, das aus einer anderen Gesellschaft hervorgegangen ist, dachte er.
Es gibt keinen objektiven Wertmaßstab. Ich vergleiche lediglich diese Welt mit der meinen. Nicht mit einer dritten.
Der Bourbon war für seinen Geschmack zu kurz gelagert, und so trank er nur wenig. Stenog hingegen füllte sein Glas ein zweites Mal, und jetzt kam Amy herüber. Er sah ihr zu, wie sie zum Schrank ging und sich ein Glas holte. Stenog hatte keines für sie bereitgestellt. Der Status der Frauen … Und doch war er sich bei seiner Konfrontation mit Wade und Icara dieses Unterschieds nicht bewußt gewesen.
»Diese illegale politische Gruppe«, sagte er. »Für was hat sie sich eingesetzt?«
Stenog bewegte sich. »Stimmrechte der Frauen.«
Obwohl Amy ihren Drink hatte, gesellte sie sich nicht zu ihnen. Sie zog sich in eine Ecke zurück, setzte sich und verharrte dort, klein, still und nachdenklich.
Aber sie hat doch erwähnt, daß sie zur Schule gegangen ist, erinnerte sich Parsons. Also sind die Frauen nicht von den Bildungsmöglichkeiten ausgeschlossen. Aber vielleicht hat die Bildung hier keinen Status, besonders die sozialwissenschaftliche nicht, etwa ein akademischer Grad in Geschichte. Möglicherweise galt so etwas als bloßes Hobby, gerade gut genug für Frauen.
Stenog betrachtete sein Glas. »Gefällt Ihnen meine Puella ?« fragte er.
Verwirrt sagte Parsons: »Ich …« Er mußte immer wieder in ihre Richtung blicken. Sie zeigte keine Gefühlsregung.
»Sie bleiben heute nacht hier«, sagte Stenog. »Sie können mit Amy schlafen, wenn Sie wollen.«
Darauf konnte Parsons nichts erwidern. Vorsichtig sah er von Stenog zu Amy und versuchte herauszufinden, was tatsächlich gemeint war. Hier kam die Sprachbarriere voll zur Geltung – und auch der Unterschied in den Sitten und Gebräuchen. »Das ist in meinem Zeitabschnitt nicht üblich«, sagte er schließlich.
»Aber Sie sind jetzt hier«, sagte Stenog in einem Anflug von Zorn.
Gewiß, das stimmte. Parsons überlegte und sagte dann: »Man sollte meinen, diese Gepflogenheit würde Ihre sorgfältige Kontrolle über die Bildung befruchteter Eizellen durcheinanderbringen.«
Gleichzeitig fuhren Stenog und Amy hoch. »Oh«, sagte Amy. »Natürlich.« Zu Stenog sagte sie: »Vergiß nicht, er hat sich nicht der Initiation unterzogen.« Mit sichtbarem Unbehagen fügte sie hinzu: »Es ist gut, daß er es freiheraus gesagt hat. Dies hätte eine sehr gefährliche Situation ergeben können. Ich bin überrascht, daß keiner von euch daran gedacht hat.«
Stenog straffte sich und sagte mit Stolz: »Parsons, machen Sie sich darauf gefaßt, daß Ihr Feingefühl verletzt wird.«
»Das ist nicht wichtig«, sagte Amy zu ihm. »Ich denke an die Situation, in die er kommen könnte.«
Stenog beachtete sie nicht, sondern konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf Parsons. »Alle männlichen Personen werden zu Beginn der Pubertät sterilisiert«, sagte er mit einem Ausdruck tiefer Zufriedenheit auf dem Gesicht. »Das trifft auch auf mich zu.«
»Sie werden also verstehen«, sagte Amy, »weshalb uns diese Sitte keine besonderen Schwierigkeiten bereitet. Doch in Ihrem Fall
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