Schädelrose
diesmal keiner mit gesenkten Lasern erwischen lassen wollen.
Fünf Millionen Amerikaner hatten die Seuche; weitere
fünfzehn Millionen würden sie in den nächsten
sieben Jahren bekommen. Schätzungen zufolge waren in einigen
Ländern bereits bis zu zehn Prozent der Bevölkerung
krank. Geld war wie Wasser geflossen. Und es hatte alles nichts
genützt.
Es war trotzdem zum Parteiengezänk gekommen, zum
Papierkrieg, dem doppelzüngigen Gerede der Politiker, den
von politischem Eigennutz motivierten Geldzuwendungen, der
Hysterie und – zuletzt und unvermeidlich – zur
Abwälzung der wirtschaftlichen Lasten auf die
Bevölkerung und zu deren explosiven Gegenreaktionen, die
dann Zimmer wie dieses hier trafen. Die handverlesene, politisch
ausgewogene Sonderkommission zur Seuchenkontrolle, deren
vorbildliche juristische, medizinische und pädagogische Arme
in einem Wahljahr großzügig finanziert worden waren,
hatte nichts unter Kontrolle bekommen. Nach wie vor wurden die
Gehirne von Menschen von einem Virus mit langer Inkubationszeit
angegriffen, einem sogenannten Slow Virus, das kein medizinisches
Team isolieren konnte. Nach wie vor verloren Menschen ihre
Fähigkeit, neue Erinnerungen zu bilden. Und nach wie vor
mußten Menschen immer und immer wieder in einem einzigen
Raum leben, körperlich und geistig, bis sie starben, bis das
Geld ausging oder bis sie jemand in Stücke sprengte.
Und diese Frau wußte das. Sie las Zeitung.
»Ich werde einen Bericht an die HfS durchgeben«,
sagte Joe, »daß Sie Soforthilfe brauchen.«
»Das haben wir bereits getan.« Schwester Margaret
drehte sich um und begann sich einen Weg durch den Schutt zur
Tür zu bahnen. Farb- und Synthschaumflocken blieben an den
Aufschlägen ihrer Jeans hängen. »Die HfS wird
zwei Monate brauchen, um den Antrag zu bearbeiten, weitere drei,
um zu entscheiden, ob diese spezielle katholische Einrichtung den
Anforderungen des Gesetzes zur Befreiung von Kirchenabgaben und
Steuern entspricht, und noch einen, um den Kredit in unser
Banknetz zu transferieren. Währenddessen wird die Polizei
den Bombenleger nicht fangen. Und Ihre Kommission wird weder ein
Heilmittel für die Seuche finden noch auch nur das Slow
Virus isolieren.«
Joe schwieg. Er hatte nichts zu sagen.
Die Nonne aber schon. Nachdem sie den ganzen Weg über die
schäbigen Flure, durch die Eingangshalle mit ihrem nackten
Fußboden und der durchhängenden Decke bis zur
stahlverstärkten Haustür mit ihren manuellen
Doppelschlössern geschwiegen hatte, drehte sie sich
schließlich zu ihm um. Joe machte sich bereit. Selbst wenn
man Verständnis dafür hatte, daß der Zorn
irgendwohin mußte – nicht einmal das half
wirklich.
»Wozu sind Sie hergekommen, Mister McLaren – aus
Washington, nicht wahr? Den ganzen weiten Weg?«
»Ja.«
»Wozu? Sie können uns keine Hilfe anbieten.
Washington hat seine eigenen Sprengstoffanschläge.
Überall gibt es dumme Menschen voller Ressentiments. Wozu
sind Sie bis nach Rochester gekommen?«
»Auf Wiedersehen, Schwester. Vielen Dank für Ihre
Mitarbeit.«
»Was ist denn mit Ihrem Fuß?«
Das stoppte ihn. Er hatte den Fuß heute nicht einmal
besonders gemerkt, auch keins der Symptome. Schwester Margarets
Blick blieb ausdruckslos, nicht erwärmt von ihrer
Direktheit.
»Multiple Sklerose«, sagte Joe kurz und fragte
sich, weshalb er überhaupt antwortete.
»Aha. Deshalb sind Sie also in Rochester. Wegen des
Instituts. Durch den Besuch eines Heims für Seuchenopfer,
das Ziel eines Sprengstoffanschlags war, können Sie die
Reise auf Staatskosten machen.«
Er bemühte sich, nicht die Beherrschung zu verlieren. Die
weißen Stücke in der Wand des Zimmers waren
menschliche Knochen gewesen. »Das stimmt nicht,
Schwester.«
»Nein?«
»Nein!«
Seine Wut schien sie weder aus der Fassung zu bringen noch
abzuschrecken. Sie sah ihn unverwandt an, und er ertappte sich zu
seiner Überraschung dabei, daß ihm trotz allem anderen
auffiel, wie fest und rosarot ihr Mund aussah. Sie war
jünger, als er gedacht hatte.
Ihre Stimme war auf einmal ganz leise. »Ihre
unsterbliche Seele ist in Gefahr, wenn Sie dorthin gehen, Mister
McLaren.«
Joe griff nach dem oberen Türschloß.
»Sie sind Katholik«, setzte Schwester Margaret
hinzu, »oder sie waren es. Das erkenne ich immer. Es ist
eine Gabe.«
Herrje. Er entriegelte das Schloß.
»Ich weiß, Sie glauben mir nicht. Und ich
drücke mich schlecht aus. Zu
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