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Schädelrose

Schädelrose

Titel: Schädelrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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grob. Aber gehen Sie
nicht ins Institut, um Ihre MS korrigieren zu lassen, Mister
McLaren. Sie müssen selbst Zweifel haben, sonst wären
Sie gleich nach Ihrem ersten Genabdruck hingegangen – ist
MS nicht einer der ersten Erkennungstests? Aber Sie hatten
Zweifel. Sie sind getaufter Katholik. Die Heilung Ihrer Krankheit
ist den Preis Ihrer unsterblichen Seele nicht wert.«
    »Auf Wiedersehen, Schwester.« Er floh auf die
Straße. Hinter ihm war die Tür einen Moment lang
unschlüssig offengeblieben; dann hatte er gehört, wie
die Riegel vorgeschoben wurden.
    Keine gute Erinnerung. Mit seinem Job waren keine guten
Erinnerungen verbunden. Joe hörte mit den Biorhythmen auf
und schob sich ungeschickt vom Bett herunter, um den
Wandbildschirm zu aktivieren und sich die Nachrichten für
ihn anzusehen.
    Es waren drei. Angel Whittaker, sein Sekretär im
Washingtoner Büro, wo er eine private Praxis führte,
unabhängig von der Seuchenkommission, hatte sich früh
am Nachmittag wegen einer juristischen Routineangelegenheit
gemeldet. Dann hatte sich Angel ein paar Stunden später
erneut gemeldet und ein BITTE UM RÜCKRUF hinterlassen. Joe
runzelte die Stirn; die einzigen Botschaften, die Angel nicht im
geschützten Büro-Datennetz hinterlassen würde,
waren solche, die er selbst nicht verstand. Und Angel gab nur
selten zu, daß er etwas nicht verstand. Als Joe
erklärt hatte, weshalb er mehrere Wochen nicht in seine
Praxis kommen konnte, hatte Angel gegrinst und sich die
Hände gerieben. »Heiße Daten! Ich mache den
Gringoanwalt, während Sie sich eufeln lassen!«
    »Lassen Sie sich doch eufeln, und ich mache derweil den Gringoanwalt«, hatte Joe säuerlich
gesagt. Angel hatte gelacht.
    Die andere Botschaft war ein BITTE UM RÜCKRUF von Jeff
Pirelli, einem alten Freund, der ebenfalls Mitglied der
Seuchenkommission war. Joe machte es sich auf einem der
japanischen Stühle des kleinen Zimmers bequem und
wählte die Nummer in Washington. Er hatte heute vormittag
mit Pirelli gesprochen; es gab keinen Grund für ihn, jetzt
anzurufen, weder einen beruflichen noch einen privaten.
    Zuerst rief er Angel in seiner Stadtwohnung an. Ein Schwall
langsamer, intensiver Musik mit schweren Drums, und darüber
Angels laute Stimme: »Hallo? Hola?«
    »Angel, hier ist Joe.«
    »Was?«
    »Joe!« brüllte er. Einen Moment später
verstummte die Musik.
    »Angel Whittaker.«
    »Hier ist Joe. Sie haben mir eine Nachricht
hinterlassen.«
    »Moment.« Ein gedämpftes Silbengerassel auf
Spanisch, dann Angels Stimme, sonderbar hoch und angespannt.
»Ja. Stimmt. Eine Nachricht.«
    »Was ist los?«
    »Nichts ist los. Sie haben bloß einen Anruf aus
Kalifornien gekriegt, und sie hat mir aufgetragen, es an Sie
persönlich weiterzuleiten, also tu ich das.«
    Kalifornien. Robin. »Ja«, sagte Joe, »aber
was ist mit Ihnen los? Sie klingen so komisch.«
    »Mir geht’s gut«, sagte Angel schrill.
    »Angel – Sie hören sich an, als ob was
Schreckliches passiert wäre. Was ist denn? Kann
ich…«
    »Ich hab gesagt, ich bin okay! Also hören Sie schon
auf damit, Mann, ja?«
    Joe schwieg verblüfft. Angel war seit anderthalb Jahren
sein Sekretär; er war abwechselnd naßforsch, cool,
verschlossen und unverschämt und immer phänomenal
tüchtig, ein Chamäleon in leuchtend grünen
Anzügen mit chinesischen Mondsynth-Stirnbändern. Aber
Joe hatte noch nie Furcht in seiner Stimme gehört.
    »Sorry«, sagte Angel verdrossen. »Wollen Sie
Ihre Nachricht haben?«
    »Na los«, sagte Joe. Er wußte nicht, was er
sonst sagen sollte. Seine Beziehung mit Angel war strikt auf die
Bürostunden beschränkt. Angel hatte den Eindruck
gemacht, daß er es so haben wollte, und Joe merkte jetzt,
daß er nicht genug über Angels Privatleben wußte
– abgesehen von der Tatsache, daß er Single war und
in einer ausgesprochen jungen Wohngegend von Washington lebte
–, um auch nur eine Frage darüber formulieren zu
können, was nicht in Ordnung sein könnte.
    Er schloß die Augen, die rechte Hand packte das Telefon,
und wartete darauf, Robins letzte Botschaft zu hören. Sie
kamen jetzt seit einem Monat, immer die gleichen: »Bitte um
Rückruf.« Angel hatte jede Wiederholung kommentarlos
weitergeleitet; er hatte die Stelle bei Joe nach dessen Scheidung
von Robin angetreten. Angel hatte sie nie kennengelernt. Joe
gefiel es so. Angel konnte sagen: »Oh, ein >Bitte um
Rückruf< von Robin Nguyen«, und Joe konnte
>Danke<

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