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Schädelrose

Schädelrose

Titel: Schädelrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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konnte die
Schauspielerin nicht sein – sie würde kein volles
Schmuckkästchen in ihrem Zimmer haben. Robbie hatte nur auf
die Ohrringe gehofft, die sie getragen hatte, als sie auf dem Weg
zu ihrem Zimmer im Flur an ihm vorbeigekommen war: lange,
baumelnde Jadebögen, besetzt mit Diamanten. Sie waren wie
glitzernde Sicheln über ihren Schultern hin und her
geschwungen.
    Er drückte auf den Schnappverschluß des
Holzkästchens. Im selben Moment war der Raum von
elektronischem Gekreisch erfüllt, heulende Töne, die
anstiegen und abfielen und wieder anstiegen, in einer
Tonhöhe, die Knochen bersten ließ. Die Schauspielerin
setzte sich auf und schrie.
    Robbie schnappte sich die Tagesdecke vom Fußende ihres
Bettes, zerrte heftig daran und warf sie in die Dunkelheit, wo
seiner Meinung nach ihr Gesicht sein mußte. Das Geschrei
erstickte mitten im Ton; der Alarm kreischte weiter. Robbie
sprintete zur Tür, riß sie auf und rannte hinaus,
bevor sich die Frau die Decke von den Augen ziehen konnte.
    Das Glück blieb ihm treu. Die Tür zum Treppenhaus
schlug hinter ihm zu, als gerade die erste der Türen im
Korridor des vierten Stocks geöffnet wurde. Er lief zum
dritten Stock hinunter und kam genau in dem Moment bei dessen
Feuerschutztür an, als die Tür oben aufflog. Schritte
polterten auf der Metalltreppe.
    Der dritte Stock lag still da. Im Ostflügel war ein
zweites Treppenhaus. Robbie rannte durch einen offenen
Freizeitbereich dorthin. Ein leerer Datennetz-Bildschirm starrte
ihn blind an. Billardqueues, ordentlich gekreuzt auf grünem
Filz, sahen wie überlange Knochen aus. Er konnte sich nicht
erinnern, wer im vierten Stock wohnte und hinter ihm her sein
mochte. Dann konnte er es; er sah die Namen in Druckschrift vor
sich in der Luft, eine leuchtende Liste, die mit ihm mitkam,
während er rannte. Wahrscheinlich der Journalist. Prokop. Er
erreichte ungesehen das zweite Treppenhaus, raste die Treppe
hinunter und kam im zweiten Stock heraus, wo er sich zwang,
gelassen über den Flur zu seinem Zimmer zu schlendern.
    Obwohl er schwer atmete, spürte er, daß sein
Verstand geschmeidig und sauber arbeitete – dank der
Brainies. Er streifte die Membranhandschuhe ab, faltete sie klein
zusammen und steckte sie in den Linsendesinfizierer, wo sie
sofort verdampften. Er zog sich aus, warf seine Sachen achtlos
auf einen Stuhl, stieg dann ins Bett und zündete sich eine
Marihuanazigarette an.
    Niemand klopfte an die Tür. Robbie lächelte.
    Ein Spaziergang draußen, mit dem Fahrstuhl zu seinem
Zimmer – beides von der Kamera verifiziert –, dann
eine späte Marihuanazigarette und der Schlaf. Sollte selbst
der Anwalt mit seinem Hinkebein mal versuchen, ihm das Gegenteil
zu beweisen.
    Aber…
    Aber was war, wenn das Zimmer der Schauspielerin mit Infrarot
überwacht und seine Silhouette anhand der Wärme, die
sein Körper abgab, fotografiert worden war?
    Eine Sekunde lang drang die Kälte selbst durch seine
Brainie hindurch. Aber nein – das Institut hatte sein Geld
offensichtlich in die äußere Sicherheit gesteckt, um
die Irren fernzuhalten, die Sprengstoffanschläge auf Heime
für Seuchenopfer und Gaisten-Zeltlager verübten; es war
eine wahre Tortur gewesen, in dieses Haus herein zukommen.
Aber wenn man erstmal drin war, gingen sie davon aus, daß
die betuchten Spießer sich benehmen würden. Es war
nicht einmal genug Wachpersonal dagewesen, um mit der Schizotante
Sandy Ochs fertigzuwerden. Reiche Leute bestahlen einander auf
feinere Weise, als er es eben versucht hatte. Und die
Schauspielerin – niemand würde wegen ihrer Holovideos
auf sie setzen, ihr letzter >Film< war ein Flop gewesen,
und sie hatte nur Nobodys geheiratet. Neben jemandem wie Caroline
Bohentin wirkte sie wie eine Vinylimitation. Sie war nicht
wichtig genug für Infrarot.
    Aber vielleicht glaubte sie es.
    Alles war DeFillippos Schuld. DeFillippo hätte Robbie,
verdammt noch mal, warnen müssen, daß das
E-Schloß-Feld nicht auch bei internationalen
Schlössern wirkte, DeFillippo hätte das Problem
vorhersehen müssen, DeFillippo hätte…
    Nein, es war nicht DeFillippos Schuld. Es war die
gottverdammte Infrarot-Technik. Wenn man an den Menschen
vorbeikam, waren da immer E-Schlösser, und wenn man die
E-Schlösser überwand, waren da für gewöhnlich
weitere Menschen, und dann noch obendrein die Infrarot- und
Hirnscan-Technik einzusetzen, war eine verdammte Schande.
Wenigstens in Liberia

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