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Schädelrose

Schädelrose

Titel: Schädelrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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zu laut, zu drängend.
    Shahid sah sie mit seinen sanften Augen an. »Ich bin
Jesuit. Es ist nicht erlaubt.«
    »Aber trotzdem beraten Sie andere!«
    »Ich berate nicht. Ich nenne Tatsachen. Und ich –
wir – lernen.«
    »Warum? Warum erlaubt Ihnen Ihre Kirche dann
überhaupt, hier zu sein?«
    Sie glaubte zu sehen, wie sich hinter seinen Augen etwas
bewegte, aber sie war sich nicht sicher. Das Kabel in ihrer Kehle
zog sich weiter zusammen.
    »Ich bin im Sonderauftrag des Bischofs hier. Die
Vergangenheit ist ein legitimes Gebiet für intellektuelle
Nachforschungen, und Sie wissen ja wahrscheinlich über die
jesuitische Tradition des Intellektualismus Bescheid. Aber Miss
Bohentin, das heißt nicht, daß…«
    »Was für ein Name ist Patrick Martin Shahid?«
Sofort schämte sie sich für ihre Grobheit, aber Shahid
schien nicht gekränkt zu sein. Er antwortete ihr mit
geduldiger Würde.
    »Mein Vater war Pakistani, meine Mutter eine katholische
Nonne aus Irland bei einem Missionarsorden in Pakistan, zur Zeit
der letzten Revolution. Sie hat den Orden verlassen. Aber das ist
unwichtig, jedenfalls im Moment. Es ist nicht nötig,
daß Sie Ihre Geschichte hinausschieben, indem Sie mich nach
meiner fragen. Sie brauchen keine Angst zu haben.«
    »Woher wollen Sie das denn wissen?« Noch
eine Grobheit; sie schien einfach nicht aufhören zu
können. Shahid sah sie einen langen Augenblick an, bevor er
etwas sagte.
    »Kennen Sie Kierkegaard?«
    Sie schüttelte den Kopf und wunderte sich, wie er auch
nur auf diese Idee kommen konnte. Sah sie in seinen Augen wie
jemand aus, der Kierkegaard las? Wie konnte das sein? Aber in
seiner ruhigen Stimme lag keine Herablassung und keine
Arroganz.
    »Was er darüber gesagt hat, enthält mehr
Wahrheit, als er wissen konnte. >Nur die geringeren Wesen
vergessen sich und werden etwas Neues. Der Schmetterling zum
Beispiel vergißt vollständig, daß er eine Raupe
war. Die Wesen mit mehr Tiefe vergessen sich nie, und sie werden
nie etwas anderes als das, was sie waren.<
    Mit anderen Worten, Miss Bohentin, auf diese Weise können
Sie nicht vor sich selbst fliehen. Ich hoffe, Sie haben das nicht
erwartet.«
    Caroline starrte ihn an. »Machen wir weiter!«
    Shahid sah sie noch einen Moment länger an. Die sanften
schwarzen Augen zeigten nicht, was er dachte. Er bückte sich
zum Boden hinunter und hob eine Ledertasche mit
Reißverschluß hoch. Caroline hatte nicht
gewußt, daß sie da war.
    »Was ich Ihnen jetzt zeigen werde, sind sehr einfache
Artefakte, die vielen Kulturen in aller Welt gemein sind. Bei
neunzig Prozent unserer Patienten weckt eins dieser Objekte die
erste Erinnerung. Wie Sie ja schon aus diesem Leben wissen, kann
eine Erinnerung von allem möglichen geweckt werden –
vom Knarren einer Türangel, dem Anblick eines
Kinderspielzeugs, von einer Farbe oder einem Geruch. So etwas
passiert uns ständig. Der einzige Unterschied ist, daß
wir jetzt Erinnerungen aus Ihren anderen Leben wachrufen
werden.«
    Shahid holte einen roten Tonkrug aus der Ledertasche und gab
ihn Caroline. Er fühlte sich rauh und kühl an. Sie
hielt ihn in der linken Hand und fuhr mit dem rechten Zeigefinger
über die gekrümmten, ungezeichneten Seiten, den
unebenen Hals, den nach außen gebogenen Rand. Sie
schüttelte den Kopf.
    »Nichts. Alles, woran ich denke, sind Museen.«
    Shahid zeigte keine Überraschung. Er steckte den Tonkrug
wieder in die Tasche und gab ihr ein Messer mit einem schlichten
Holzgriff und einer angelaufenen, fünfzehn Zentimeter langen
Klinge.
    Sie stand am Tisch und schnitt Zwiebeln. Der Kamin qualmte
wieder. Der Qualm reizte ihre Nase; sie nieste.
»Mathilde!« rief er scharf von draußen vor dem
Fenster. »Die Kuh!« Und sie schnitt schneller, wobei
ihr Torfrauch und Zwiebeldämpfe in den Augen
brannten…
    »Oh«, sagte Caroline. »Oh…«
    »Wo sind Sie?« fragte Shahid. Er beugte sich vor.
»Wo?«
    »In der Küche. Mein… mein Stiefvater hat die
Kuh gerade in den Stall zurückgebracht, und ich muß
sie melken. Und der Eintopf steht noch nicht auf dem Herd, weil
ich eingeschlafen bin, und Mutter wird wieder böse
sein…«
    Caroline sank in die Kissen zurück. »Mathilde. Ich
bin Mathilde Ferrars. Ich bin neun Jahre alt.«
    Sie ließ es sich auf der Zunge zergehen. Mathilde. Sie
konnte die Küche sehen, sie fühlen: die
verräucherten Wände, von Generationen von Feuern
geschwärzt; den auf Böcken stehenden Tisch, der

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