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Schädelrose

Schädelrose

Titel: Schädelrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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des
Bettes. Caroline zerrte mit der Hand – sie war ganz
naß – an ihrem Kittel und zog sich die Decke bis zum
Kinn hoch. Ihr Gesicht brannte. »Pater Shahid… Es
tut mir so leid…«
    Er wartete aus Höflichkeit noch einen Augenblick lang,
bevor er sich umdrehte. »Nicht nötig. Das ist normal.
Die Ärzte haben Ihnen doch gesagt, nicht wahr, daß die
sexuellen Erinnerungen die stärksten sein würden
– ohne Training kaum zu kontrollieren?«
    »Sie haben nicht gesagt, daß es so sein
würde!«
    »Das hätten Sie nicht geglaubt. Die Gründe
sind physiologisch. Wachgerufene sexuelle Erinnerungen entfachen
ein elektrisches Gewitter in der Nähe des limbischen
Systems, ähnlich wie bei manchen Formen eines epileptischen
Anfalls. Ihr Training wird diverse Kontrollmöglichkeiten
umfassen: Biofeedback, Alphawellen-Konzentration,
Meditationstechniken, Linsay-Barr-Griffe. Für die
Ungeduldigeren auch sexuelle Dämpfer, obwohl diese sich auch
auf konventionelle Reaktionen auswirken, wie man mir erklärt
hat. Biofeedback ist für gewöhnlich das
Beste.«
    Sie merkte, daß er ihr Zeit ließ, ihre
Verlegenheit zu überwinden. Sie war dankbar. Die
Verlegenheit wich der Heiterkeit. Nein, nein, nicht schon wieder
– sie konnte nicht schon wieder losprusten. »Ein
Fischernetz…!«
    »Ich gebe zu, so hat noch niemand auf das Fischernetz
reagiert.«
    »Was haben Sie denn noch in dieser Zeitkapsel mit
Reißverschluß?«
    »Nichts für Sie. Das reicht für heute, finde
ich. Soll ich Ihnen eine Schwester rufen, damit sie sich zu Ihnen
setzt? Oder eine Institutshostess?«
    »Guter Gott, nein.«
    »Doktor Bulriss wird in Kürze
wiederkommen.«
    »Fein.« Sie wollte plötzlich allein sein.
Eine Leichtigkeit erfüllte sie, ein neues Bedürfnis, so
stark wie die Anziehungskraft von Sex.
    »Bevor ich gehe«, sagte Shahid leise,
»möchte ich Ihnen ein paar Zeilen von einem
großen indischen Führer des letzten Jahrhunderts
hierlassen. Indien war nicht mit meinem Land befreundet, aber ich
habe noch nie ein Wort von diesem Mann gelesen, das nicht wahr
ist. Er schrieb: >Es liegt an der Güte der Natur,
daß wir uns nicht an frühere Leben erinnern. Was
hätten wir davon, wenn wir uns in allen Einzelheiten der
zahllosen Geburten entsinnen würden, die wir hinter uns
haben? Das Leben wäre eine Last, wenn wir eine solch
ungeheure Bürde an Erinnerungen mit uns herumtragen
würden. Ein weiser Mann vergißt viele Dinge mit
Absicht.<«
    Caroline starrte ihn an. »Das glauben Sie? Und trotzdem
arbeiten Sie hier.«
    »Ja«, sagte Shahid, und sie sah zum zweitenmal
dieses Aufblitzen unerklärlicher Anspannung, diesmal so
tiefgehend, daß es schon Schmerz war. »Lassen Sie
nicht zu, daß die Vergangenheit ihre Gegenwart
überwältigt, Caroline.«
    Sie nickte, aber ohne wirkliche Aufmerksamkeit. Die
Leichtigkeit nahm sie voll in Anspruch, so berauschend wie Sekt.
Sie bemerkte es kaum, als Shahid das Zimmer verließ.
    Ich bin Mathilde. Sie sah wieder die Bauernküche,
die rauchgeschwärzten Wände, die Talglichter, die auf
dem aufgebockten Tisch flackerten. Weitere Erinnerungen folgten,
eine nach der anderen, wie die unabänderlichen Akkorde
starker Musik. Die Noten von Mathildes Leben: ihres Lebens. Die
Steifheit ihrer ersten Leinenhaube an ihren Wangen. Runde gelbe
Käse, schwer wie Steine. Die Geburt eines Kalbs, dessen
Vorderbeine genau in dem Moment hinten aus seiner Mutter
herauskamen, als das Angelusläuten vom Glockenturm der
Priorei über den Frühlingshimmel schallte.
    Ich bin Pilar. Ein ganz anderes Leben, nur angenehme,
sorglose Erinnerungen, Nächte voller blutroten Weins in
goldenen Kelchen und dunkeläugiger Männer, die nach
Ziegen und Schweiß rochen und nach Gelächter
schmeckten…
    Caroline spürte, wie sie errötete, und wandte ihre
Gedanken gewaltsam ab, bevor ihr Körper reagieren
konnte.
    Ich bin Linyi. Der Hof, das schräg einfallende
ruhige Licht auf den Goldfischen, und Tsemos Flöte. Der
Frieden. Das Lachen der Kinder.
    Shahid hatte sich geirrt, dachte sie. Die sexuellen
Erinnerungen waren nicht die stärksten. Keine Erinnerung aus
irgendeinem Leben hatte die Kraft jenes verlorenen
süßen Friedens in dem chinesischen Hof. Linyi, und
Tsemo, und die Flöte. Und sie hatte Kinder, zwei gesunde,
starke, lachende Söhne, Shujen und Piao mit den dicken
glatten Wangen… mehr noch, sie war mit sich selbst im
reinen gewesen. Wie makelloses Sung-Porzellan war

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