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Schädelrose

Schädelrose

Titel: Schädelrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Ihrer festgelegten Höhe abweichen. In
Gebieten mit anderen Luftfahrzeugen…«
    Nichts war mehr so wie früher, nichts entsprach Mallies
Erinnerung. Was, wenn sich die Höhle verändert hatte?
Wenn sie eine Touristenattraktion -Schauen Sie sich die
Roboterpiraten an! – oder eine Gaistenbehausung war? Aber
die Berge am Horizont standen stur und unbeweglich da. Berge,
dachte Robbie, waren der Gipfel der Spießigkeit.
    Er brauchte nicht einmal eine Stunde bis zum Sweetwater River.
Mallie und Johnny hatten zwei Tage gebraucht. Zu Robbies
Erleichterung war der Sweetwater weder ein großflächig
bebautes Gebiet noch ein gepflegtes Ferienparadies geworden, was
ja möglich gewesen wäre. Die unheimlichen Felder, in
denen sich immer noch nichts Lebendiges bewegte, was nicht
elektronisch war, erstreckten sich fast bis zum Fluß; nur
ein leerer Highway verlief dazwischen. Hin und wieder teilten
sich die Felder für eine einsame Spitzkuppe, die völlig
fehl am Platz wirkte. Nur die Berge, purpurn unter einem blauen
Himmel, sahen noch genauso aus, wie Mallie – wie er –
wie Mallie sie in Erinnerung hatte.
    Aus einem Impuls heraus landete Robbie mit dem Wagen zwischen
dem Highway und dem Fluß. Er stieg aus, bückte sich
und steckte die Hand ins Wasser. Es fühlte sich so eiskalt
an wie damals, ein breiter, flacher Fluß, der auf seinem
Weg durch den hochgelegenen Bergpaß und über die
kontinentale Wasserscheide zur Nordplatte über Steine
hinwegplätscherte. Es gab keine Möglichkeit
herauszufinden, wo am Lauf des Sweetwater der Siouxüberfall
auf Mallie und Johnny Lee stattgefunden hatte; die Uferbänke
sahen überall gleich aus, so weit das Auge reichte, aber
sonst war alles anders.
    Da war etwas, woran er sich nicht erinnern konnte.
    Das Unbehagen, das er im Flugzeug verspürt hatte, war
wieder da. Er bekam Kopfschmerzen. Aus irgendeinem Grund dachte
er an Caroline: Caroline in ihrem blauen Kleid mit den Tausenden
von winzigen Löchern in strudelnden Mustern, ein blaues
Stirnband wie eine Indianerin um ihre braunen Haare gebunden. Die
Kopfschmerzen wurden abrupt schlimmer, ein plötzliches
scharfes Stechen hinter seinen Augäpfeln, das ihn taumeln
ließ und ihn zwang, sich ans Ufer des Sweetwater zu setzen.
Aus der quälenden Verwirrung kam ein Name: Paul.
    Wer war Paul? Kein Indianer würde Paul heißen.
Carolines Männer hießen auch beide nicht Paul,
ebensowenig wie ihr Vater. Und er war sicher, daß es in der
Höhle in den näherrückenden Bergen auch keinen
Paul gegeben hatte.
    Aber der Gedanke an den Namen hatte seine Kopfschmerzen
irgendwie gelindert. Robbie schlenkerte mit der Hand; sie war
trocken. Die Hitze hatte den Sweetwater bereits von seinen
Fingern gebrannt. Er war einfach nur von der Sonne geblendet
worden, die strahlend auf dem Fluß lag, redete er sich ein.
Die weite Wasserfläche glänzte und rauschte leise im
Sonnenschein. Und die Höhe – die machte komische
Sachen mit einem, wenn man nicht dran gewöhnt war. Das war
es gewesen, die Höhe und Kopfschmerzen von der Sonne.
    Er kletterte wieder in den Luftwagen, hob ab und flog auf die
Wind River Range zu.

 
10.
CAROLINE
     
    Solange Caroline zurückdenken konnte, hatte in Colin
Cadavys Garderobe – ganz gleich, wo diese sich gerade
befand – eine elektronische Tafel gehangen. Die Tafel
bestand aus einem strengen Goldrahmen mit einen Text darin, der
zwischen Grün und Gold changierte und in seinem Verlauf den
Stil änderte: von Schreibschrift über Schönschrift
und Blockschrift zu einer dezenten Parodie früher digitaler
Displays. »Witzig«, hatte Colin dazu gesagt,
während die siebenjährige Caroline, für einen im
Sorgerecht vorgesehenen Besuch aus dem Haus ihrer
Großmutter entführt, beim Lesen die Lippen bewegt
hatte:
     
    »DES MENSCHEN UNGLÜCK ENTSPRINGT ZUM TEIL AUS
SEINER GROSSE. ES GIBT ETWAS UNENDLICHES IN IHM, DAS ER TROTZ ALL
SEINER SCHLAUHEIT NICHT VOLLSTÄNDIG UNTER DEM ENDLICHEN
BEGRABEN KANN.«
    - THOMAS CARLYLE.
     
    Mit sieben hatten die Worte für sie nur bedeutet,
daß jemand unglücklich war, ohne daß sie so
recht gewußt hätte, wer, und diese Ungewißheit
hatte bei ihr ein dumpfes Unbehagen ausgelöst. Mit
zwölf, als sie ihre Großmutter trotzig verlassen
hatte, um mit Colin herumzuziehen, waren sie ihr als brennend
wahr erschienen, ein Beweis dafür, daß ihr Vater, der
draußen auf der Bühne eines Londoner Theaters den
Hamlet vor einem stumm

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