Schaenderblut - Thriller

abgelegt sind. Auf dieser Grundlage könnte man sich tatsächlich ein Szenario vorstellen, in dem ein Serienmörder einen anderen dadurch hervorbringt, dass er ihn beißt. Aber das alles hängt davon ab, ob wirklich eine Krankheit existiert, die auf diese Weise auf die Amygdala einwirkt. Bislang gibt es keine konkreten Indizien dafür.«
    »Verdammt.« Das war alles, was Locke dazu einfiel. »Könnte man es heilen? Ich meine, wenn es existiert.«
    »Das Gehirn ist ein kompliziertes Konstrukt. Gehirnzellen sind die einzigen Zellen unseres Körpers, die sich nicht reproduzieren. Sobald sie absterben, sind sie für immer verloren. Diese Fragilität sorgt in aller Regel dafür, dass Veränderungen am neurologischen System von Dauer sind.«
    »Sie erwähnten, eine Erhöhung des Serotoninniveaus könnte für gewalttätige sexuelle Exzesse verantwortlich sein? Es handelt sich doch um eine Impulskontrollstörung, genau genommen um eine Zwangsstörung. Nur dass wir in diesem Fall von dem Zwang, andere Menschen zu töten, reden. Man verwendet Serotoninhemmer, um andere Suchterkrankungen zu heilen, Drogenmissbrauch, Alkoholismus, sogar Spielsucht. Auch sadistische Sexualmorde könnten in diese Kategorie fallen. Warum sollte man sie nicht genauso therapieren können wie andere Süchte?«
    »Darüber habe ich auch schon nachgedacht und theoretisch könnte es funktionieren. Wenn der Rest der Theorie stichhaltig ist, schließe ich nicht aus, dass die Verabreichung von Serotonin-Wiederaufnahmehemmern möglicherweise von Erfolg gekrönt wäre. Leider ist die Erfolgsquote bei der Behandlung von Abhängigkeiten mit Psychopharmaka nicht sonderlich ermutigend.
    Wie bei vielen Behandlungen haben wir auch in diesem Fall festgestellt, dass sie nur anschlagen, wenn der Patient es selbst will. Aber eine Sucht zeichnet sich in der Regel gerade dadurch aus, dass für den Süchtigen eine Belohnung damit verbunden ist – egal ob Drogensucht, Alkoholismus, Sexsucht, Kaufsucht, Spielsucht oder Serienmord. Die süchtige Person wird dadurch in einen Rausch versetzt, der mit nichts anderem vergleichbar ist. Diese Leute tun es, weil es sie – entschuldigen Sie den Ausdruck – geil macht. Oft ist es das Einzige in ihrem Leben, das ihnen solche positiven Rückmeldungen verschafft. Im Endeffekt würden wir von ihnen verlangen, dieses Gefühl der Euphorie gegen ein Leben voller Monotonie einzutauschen. Viele sind dazu nicht bereit, egal, mit wie vielen Medikamenten man sie vollpumpt.«
    Professor Locke dankte Dougherty und beendete das Gespräch. Lange blieb er im Dunkeln sitzen und überlegte, was er unternehmen sollte. Dann bootete er seinen Computer und versuchte, mehr über Joseph Miles herauszufinden.
    Er begann damit, dass er sich in die Datenbank der Universität einloggte und Josephs Studentenakte inspizierte. Er wusste nicht genau, wonach er suchte, aber wenn sein Schüler glaubte, an dieser Krankheit zu leiden, folgte daraus, dass er an einem früheren Punkt seines Leben damit infiziert worden sein musste. Mit anderen Worten: Er war irgendwann selbst in der Gewalt eines Serienmörders gewesen.
    In Unterlagen aus Miles’ Mittelschulzeit stieß er schließlich auf einen entsprechenden Eintrag. In der fünften Klasse war Joseph für drei Monate vom Unterricht befreit worden wegen »… schwerer medizinischer und emotionaler Traumata«. Der Professor rief das Online-Archiv der Lokalzeitung, des Seattle Ledger, auf, um unter dem angegebenen Datum nach Artikeln zu recherchieren. Er stieß auf die Verbindung in Form einer reißerischen Schlagzeile, bei der sich ihm sämtliche Nackenhaare sträubten.
    Zehnjähriger überlebt Tortur
    durch Kindermörder
    Seattle – Im vergangenen Monat wurde ein zehnjähriger Junge, dessen Identität aufgrund seines Alters von den Behörden geheim gehalten wird, aus zahlreichen Schnitt- und Stichwunden blutend aufgefunden. Offenbar fiel er brutalen sexuellen Übergriffen zum Opfer. Am gestrigen Dienstag nahm die Polizei einen Mann in Gewahrsam, auf den die Beschreibung des Täters zutrifft, die der Junge den Beamten gab.
    Der 17-jährige Damon Trent wurde unter dem Verdacht des sexuellen Missbrauchs und Mordes an sechs weiteren Jungen aus der Region Seattle festgenommen. Als die Polizei Trents Haus durchsuchte, entdeckte das Einsatzteam die sterblichen Überreste von drei vermissten männlichen Teenagern in seinem Keller. Augenzeugen sprachen von »Bottichen voller Blut«. Weitere Untersuchungen förderten mehrere