Schaenderblut - Thriller
überfordert zu sein schien. Sein Kopf war kahl geschoren, als wollte er damit die zahlreichen Narben betonen, ohne Zweifel die Folgen von Straßenschlägereien. Joe wollte gar nicht darüber nachdenken, wie man einen solchen Hünen überwältigte.
Auch ohne die Glock .40 an seiner Hüfte und den Monadnock-PR24-Schlagstock, der von seinem Gürtel baumelte, kam ihm der Mann wie ein unüberwindlicher Gegner vor. Er war der schlimmste Albtraum eines Insassen und definitiv der Hauptdarsteller zahlreicher Vergewaltigungsalbträume. Seine Armmuskeln glichen kleinen Schinkenkeulen. Er war offensichtlich Stammgast im Fitnessraum, den die Patienten in ihrem sedierten Zustand wahrscheinlich so gut wie gar nicht benutzten. Der Wachmann ließ die Hände von Joes Schultern bis hinab zu den Fußknöcheln gleiten, dann zwischen den Schenkeln wieder hinauf. Er fasste ihm sogar kurz in den Schritt.
Joe ließ die grobe und entwürdigende Durchsuchung, ohne die man ihn nicht auf die Station lassen würde, über sich ergehen. Der Wärter drehte Joe sämtliche Taschen um, nahm Brieftasche und Schlüssel an sich und steckte sie in einen braunen Umschlag. Dann schlenderte er zu seinem Tisch und drückte einen Schalter, der die schwere Tür entriegelte.
»Sie bekommen das Zeug zurück, wenn Sie gehen«, sagte er, legte seine Füße wieder auf den Tisch und fuhr fort, in seiner Sportzeitschrift zu lesen. Gemeinsam mit dem Pfleger betrat Joe die Station. Er hörte sein eigenes Atmen und seinen Herzschlag, als würden sie durch einen Lautsprecher verstärkt.
Der Hochsicherheitstrakt für Sexualstraftäter glich in keiner Weise der klassischen Gefängnisumgebung, die Joe insgeheim erwartet hatte. Sämtliche Türen standen offen, bis auf einige wenige. Denkbar, dass die entsprechenden Insassen aufgrund von Übertretungen der wie auch immer gearteten Bestimmungen, die hier das Leben regelten, eine Ausgangssperre erhalten hatten. Die anderen wandelten umher und sabbelten vor sich hin oder berichteten fröhlich anderen von ihren Verbrechen, verglichen in atemlosem Flüstern ihre Gräueltaten miteinander. Dabei trat eine unverhohlene Erregung in ihre Augen. Sie leuchteten wie bei alten Männern, die sich an ihre verlorene Jugend zurückerinnerten. Einige hockten hohläugig auf Stühlen oder auf dem Boden, erinnerten sich vielleicht an die Missbräuche aus der Kindheit, die sie gebrochen und dazu getrieben hatten, andere zu vernichten.
»Die meisten der Freaks, die hier einsitzen, sind Kinderschänder und Serienvergewaltiger. Wir haben nicht allzu viele Mörder hier. Der Staat schickt die Mörder lieber direkt in den Todestrakt. Damit die Bürger ruhig schlafen können, wenn Sie wissen, was ich meine. Sie mögen die Vorstellung nicht, dass ein Mörder eines Tages hier wieder rausspaziert, weil so ein Idiot von Arzt ihn für gesund erklärt, und hinterher neue Leute aufschlitzt. Wenn sie lebenslänglich weggesperrt werden oder die Giftspritze bekommen, muss man sich um so etwas keine Gedanken machen. Ich für meinen Teil mache mir mehr Sorgen um die Kinderschänder, die man Tag für Tag freilässt. Die kann man nicht heilen. Irgendwann landen sie alle wieder hier. Genau das sind die Typen, die für Mördernachwuchs sorgen. Fast jeder Mörder in diesem Trakt wurde als Kind missbraucht.«
Joe schwieg.
»Yeah, Ihr Cousin ist hier so was wie der unumstrittene Star. Mit weitem Abstand der prominenteste Mörder, den wir haben.«
Joe war erleichtert, als sie endlich vor einer der verschlossenen Türen haltmachten. Der Pfleger zeigte darauf und grinste.
»Da wären wir.«
Adrenalin schoss in seinen Blutkreislauf und beschleunigte den Puls, als er sich dem kugelsicheren Fenster näherte und auf den pummeligen kleinen Mann spähte, der in einer schmuddeligen Zwangsjacke auf dem Einzelbett kauerte.
Der Pfleger öffnete die Tür und schob ihn hinein. Joe zögerte. Er war unsicher.
»Sie haben eine Viertelstunde. Ich bleibe vor der Tür stehen und passe auf. Wenn Sie Hilfe brauchen oder früher gehen wollen, winken Sie einfach. Fassen Sie den Patienten nicht an. Wenn Sie versuchen, ihm etwas zuzustecken, werden Sie rausgeholt und eingebuchtet.«
»Danke.« Joe hatte nicht eine Sekunde den Blick von Damon abgewandt. Er ging in den muffigen, klaustrophobisch kleinen Raum und ihm war, als trete er durch eine Zeitmaschine. Die alten Emotionen stürzten wie eine Lawine über ihn herein, drängten die Luft aus seinen Lungen und ließen seine Knie wachsweich
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