Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schängels Schatten

Titel: Schängels Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
Vom Netzwerk:
dass er etwas über die Stadtgeschichte nachlesen wollte.
    Er fuhr über die Moselbrücke und nahm im Kreisel am Saarplatz die Ausfahrt Richtung Altstadt. Als er an der Alten Burg vorbei zum Florinsmarkt gelangte, prasselte das Kopfsteinpflaster unter den Reifen. Der kleine Platz war wie eh und je mit Autos voll geparkt, und Mike musste ein ganzes Stück in Richtung Deutsches Eck weiterfahren, bis er eine Lücke fand. Es war erst kurz vor sieben. Für das Archiv sowieso noch viel zu früh.
    Er holte seinen Panamahut von der Ablage, setzte ihn auf und schloss den Wagen ab. Langsam ging er zurück zur Florinskirche. Die Erinnerungen kamen Stück für Stück. Das Mittelrhein-Museum unter dem Augenroller. Daneben die Musikbibliothek, in der Mike neben dem Regal mit den Klaviernoten viele Nachmittage verbracht hatte.
    Am Eingang zur Alten Burg zeigte ihm eine Hinweistafel, dass das Archiv erst um 14 Uhr öffnen würde. Auch gut. Bis dahin konnte er die geheimnisvolle Telefonnummer anrufen und herausfinden, wo das Langendorfer Feld war. Und dafür musste er zunächst mal eine Telefonkarte erstehen.
    Er wählte den Weg durch die Mehlgasse und betrachtete die Wanddekoration eines Lebensmittelgeschäfts, die der Krieg verschont hatte. Früher hatte sie tatsächlich noch wie ein Rest aus einer alten Zeit ausgesehen. Jetzt hatte man den bunten Schriftzug restauriert, und er wirkte wie neu gemalt. Mike kam an der Liebfrauenkirche heraus und vermisste die Pizzeria »La Mamma«, die es hier früher gegeben hatte. Er konnte sich jedoch nicht mehr daran erinnern, in welchem Haus sie gewesen war.
    Am Jesuitenplatz gab es jedenfalls noch das Eiscafé Brustolon. Dort hatte Mike mit fünfzehn sein erstes Rendezvous gehabt. Sie hieß Monika und war ein Jahr jünger als er. Sie hatte seine großzügige Einladung hemmungslos ausgenutzt und sich den teuersten Eisbecher bestellt. Als sie ihn geleert hatte, musste sie plötzlich nach Hause, und Mike hatte erst wieder von ihr gehört, als sie mit einem Typen aus seiner Klasse ging. Jürgen Lange. Der Sohn seines Musik- und Geschichtslehrers. Er war mit sechzehn schon Kettenraucher gewesen und hatte als Erster in der Klasse ein Moped gehabt. Wie Monika genau ausgesehen hatte, wusste Mike nicht mehr. Er hatte aber noch deutlich das Bild von dem bunten Eisbecher vor Augen, der fast sein gesamtes Taschengeld gekostet hatte. Für ihn hatte es nur noch für eine Cola gereicht.
    Den Görresplatz hätte er kaum wiedererkannt. Der ganze Platz war Fußgängerzone, für die Autos gab es jetzt eine Tiefgarage, und in der Mitte stand ein Brunnen, in dessen Wasserbecken sich aus der Nachbildung eines Bootes eine riesige Säule erhob. Mike versuchte, aus den aufeinander getürmten Figuren und Häuschen schlau zu werden, und er verstand, dass das Ganze die Geschichte der Stadt darstellen sollte – von den burgähnlichen Stadtmauern bis hin zur Wiederauferstehung aus den Trümmern des Zweiten Weltkrieges.
    Er sah auf die Uhr. Noch nicht mal halb acht. Er setzte sich eine Zeit lang auf eine der Bänke, die es früher ebenfalls noch nicht gegeben hatte, und zog ein kleines Noten-Notizbuch und einen Stift aus der Jackentasche. Er schrieb die Melodie der Telefonnummer auf, die auf Carolas Block gestanden hatte, und versuchte, das Thema ein wenig zu variieren. Als er ein paar Seiten voll geschrieben hatte, ging es auf halb neun zu.
    Plötzlich überkam ihn Ungeduld. Er stand auf und gelangte in die Löhrstraße, die ihm viel schmaler vorkam, als er sie in Erinnerung hatte. Am Wöllershof fand er eine Post mit Telefonzellen davor. Er kaufte eine Telefonkarte und rief die Nummer an. Das Rufzeichen tutete sehr lange, dann wurde abgehoben.
    »Hoffmann«, meldete sich eine Frauenstimme.
    »Guten Morgen, mein Name ist Engel. Entschuldigen Sie die Störung, aber ich hätte eine Frage an Sie.«
    »Was?« Die Frau wirkte sehr müde; ihre Stimme klang matt. Mike hatte sie wahrscheinlich aus dem Schlaf gerissen.
    »Ich bin ein Bekannter von Carola Zerwas. Ich habe Ihre Telefonnummer von ihr. Ich wollte Sie fragen, ob Sie vor kurzem mit Carola Zerwas gesprochen haben.«
    Mike hörte ein Rascheln. Es klang nach Bettzeug.
    »Was?«, fragte sie wieder, diesmal war ihre Stimme etwas deutlicher. »Wer sind Sie?«
    »Engel. Michael Engel. Ich wollte Sie etwas wegen Carola Zerwas fragen.«
    »Zerwas?«
    »Kennen Sie den Namen nicht?«
    »Hm.«
    »Wohnen Sie im Langendorfer Feld?«
    Wieder Rascheln. »Was haben Sie gesagt, wie Sie

Weitere Kostenlose Bücher