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Schängels Schatten

Titel: Schängels Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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heißen?«
    Mike hatte das Gefühl, als sei die Frau jetzt erst richtig wach geworden. Geduldig fing er wieder von vorne an. »Es geht um Carola Zerwas.«
    »Ja«, sagte die Frau. »Carola Zerwas.«
    »Haben Sie sie in letzter Zeit getroffen? Oder mit ihr telefoniert?«
    »Warum fragen Sie mich das?«
    »Wir sind zusammen zur Schule gegangen, und ich habe sie gestern Abend besucht. Hören Sie …« Mike stockte. Es war sicher nicht so gut, mit der Tür ins Haus zu fallen und zu erzählen, dass Carola tot war. »Kann ich vielleicht mit Ihnen persönlich reden? Ich meine, nicht am Telefon. Kann ich Sie besuchen? Wo ist denn das Langendorfer Feld?«
    »Langendorfer Feld?«
    »Ist das nicht Ihre Adresse?«
    »Ich wohne in der Rheinstraße.«
    »Welche Hausnummer?«
    »Das Hochhaus.«
    In Mike keimte eine Erinnerung. »Das Haus, in dem es unten ein Restaurant gibt? Ja, das kenne ich. Wie hieß es doch gleich …«
    »La Gondola«, sagte die Frau.
    »Wann könnte ich vorbeikommen? Es dauert nicht lange.«
    »Ich verstehe immer noch nicht, was Sie von mir wollen.«
    »Nur eine Auskunft. Oder sagt Ihnen der Name Carola Zerwas gar nichts?«
    »Doch, doch … Also gut. Kommen Sie um ein Uhr.«
    »Wie war Ihr Name noch mal?«
    »Hoffmann. Anita Hoffmann.«
    Mike legte auf. Die Geschäfte in der Löhrstraße öffneten gerade. Verkäufer waren damit beschäftigt, Auslagen aufzubauen. Die ersten Kunden spazierten durch die Fußgängerzone, dazwischen sah Mike Gestalten mit Käppis und Rucksäcken. Die Frühaufsteher unter den Touristen. Mike orientierte sich kurz und ging in die nächste Buchhandlung. Sein Ziel war die Abteilung mit den Stadtplänen.
    *
    Im Wohnzimmer des alten Mannes hat es noch nie eine solche Unordnung gegeben. Fotoalben, Jahrbücher und Bildbände liegen verstreut auf dem Teppich herum, die meisten aufgeschlagen. Es sieht aus, als hätte ein Wirbelsturm gewütet.
    Der alte Mann blättert verbissen durch die Bände. Plötzlich lässt er das Buch, das er gerade in der Hand hat, fallen. Er geht in den Keller hinunter, wo Akten in schweren Eisenregalen lagern. So viele Ordner er tragen kann, bringt er ächzend nach oben. Er gönnt sich eine Verschnaufpause; dann beginnt die Blätterei wieder.
    Die ersten Abrechnungen seiner Firma. Alte Jahreszahlen: 1956, 1957, 1958. Dokumente von Anteilsan- und -Verkäufen, von Übertragungen; erst stückweise, dann immer häufiger auf den Namen seiner Tochter. Kolonnen von Zahlen. Sauber in Paragraphen unterteilte Verträge. Das ist nicht das, was er sucht.
    Er geht wieder in den Keller hinunter, stöbert im Licht der matten Glühbirne in alten Kalendern und Adressbüchern.
    Bis er endlich den Namen findet. Den Namen, den er braucht.
    *
    Mike stellte sich vor, mal eben das Straßenverzeichnis eines Koblenzer Stadtplans aufzufalten und nachzusehen, wo »Im Langendorfer Feld« war. Aber Fehlanzeige. Die Adresse gab es in Koblenz nicht.
    Verwirrt suchte er weiter. Er probierte, ob die Straße vielleicht einfach nur »Langendorfer Feld« oder auch »Langendorfer Weg« hieß. Auch das brachte nichts.
    Den Stadtplan in der Hand, stand er da und fragte sich, ob Carola vielleicht gar keine Adresse notiert hatte, sondern eine Ortsbezeichnung, die wörtlich gemeint war. Vielleicht hatte sie sich mit jemandem auf einem Feld in Langendorf verabredet. Mike versuchte sich das vorzustellen: Carola in ihrem Rollstuhl irgendwo auf dem Land bei einem konspirativen Treffen …
    »Kann ich Ihnen helfen?« Die Stimme gehörte einer Verkäuferin. Mike sah sich um. Im Laden war um diese Zeit noch wenig los, und so war die Fachkraft auf den einzigen Kunden losgegangen. Mike erklärte, dass er eine bestimmte Adresse suche, sie aber in Koblenz nicht gefunden habe. »Zeigen Sie mir einen Stadtplan, auf dem es die Straße ›Im Langendorfer Feld‹ gibt, und ich kaufe ihn«, sagte er und versuchte ein Lächeln.
    »Sind Sie denn sicher, dass Sie in Koblenz suchen müssen?«, fragte sie.
    Mike schüttelte den Kopf. Das war ja das Problem.
    »Versuchen Sie es doch mal mit angrenzenden Ortschaften. Das hier ist ganz gut geeignet.«
    Sie zog einen großformatigen Straßenatlas vom Großraum Köln-Bonn-Koblenz aus dem Regal und hielt ihn Mike hin.
    Er begann im Index zu blättern. Erst durchsuchte Mike die Orte in alphabetischer Reihenfolge. Alfter, Andernach, Bad Breisig, Bad Hönningen. Dann ging er dazu über, geographisch zu suchen, und sah bei den Nachbargemeinden nach. Bendorf, Kettig, Lahnstein,

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