Schängels Schatten
Mülheim-Kärlich. Nichts.
Dann Neuwied. Bingo. Da stand es schwarz auf weiß. »Im Langendorfer Feld«. Er suchte noch sporadisch weiter, fand in anderen Orten nichts und ging mit dem Atlas zur Kasse.
»Na, hat es geklappt?«, fragte die Verkäuferin.
»Ich denke schon.«
Kurz darauf saß Mike im Wagen, den aufgeschlagenen Atlas neben sich. Die Straße lag ziemlich weit außerhalb. Auf dem Plan führte sie über eine blassgrüne Fläche; dazwischen waren blaue Flecken eingezeichnet – Baggerseen. An einigen Stellen war der Vermerk »Kies« zu lesen. Eine Gegend, die als Versteck für das Geld in Frage kam? Warum nicht? Mike spürte wieder, wie ihn Nervosität erfasste.
Er fuhr auf die B 9, überquerte den Rhein und bog nach Neuwied ab. Dort hielt er sich ostwärts. Die Gegend wurde unansehnlich. Brachland, etwas Industrie. Ein Betonwerk tauchte auf; Mike las den Schriftzug Dyckerhoff. Dann war ein Yachthafen ausgeschildert, und am Ende fand sich Mike an einer trostlosen Kreuzung schmaler Straßen wieder.
Hier schien die Welt zu Ende zu sein. Auf der einen Seite erhob sich ein Bürogebäude, das im Plan als »Stadtwerke« eingetragen war, auf der anderen gab es weitere Industrieanlagen. Ansonsten erstreckte sich vor ihm nur freies Feld. Dahinter ragte der Kühlturm des Kernkraftwerks Mülheim-Kärlich in die Höhe. Bedrohlich nahe, obwohl er sich auf der anderen Rheinseite befand.
Als Mike die Tür des Wagens öffnete, schlug ihm staubige, warme Luft entgegen, vermischt mit einer Lärmwolke aus Röhren und Donnern. Der Krach kam von einer weiteren Betonfabrik, neben der sich ein paar flache Gebäude duckten. Die Straße ging zwischen kleinen Bäumen und Büschen auf der einen und dem Feld auf der anderen Seite schnurgerade in die Ferne.
Mike stieg wieder ins Auto und fuhr die Strecke ab. Einmal musste er einem Lkw ausweichen, der ihm auf der schmalen Fahrbahn entgegenkam. Mike stoppte und kontrollierte noch einmal die Karte. Hier gab es nichts als Kiesgruben. Er wendete, kehrte zur Kreuzung zurück und parkte den Wagen.
Vor einem der letzten Häuser stand ein verbeulter Briefkasten neben der Einfahrt. Das Namensschild war einmal mit schwarzem Filzstift geschrieben worden, jetzt war von der Schrift nur noch blasses, unleserliches Gekrakel zu sehen. Neben einem großen Rolltor gab es eine Haustür aus blickdichtem Glas, daneben einen Klingelknopf. Mike versuchte sein Glück. Er wartete eine Weile; niemand öffnete.
Nebenan dröhnte die Betonfirma. Feiner Staub kam beständig herübergeweht. Mike fragte sich, wer in so einer Umgebung wohnen mochte. Er spürte, wie er zu schwitzen begann. Die Sonne war schon ziemlich kräftig. Mike zog das schwarze Einstecktuch aus der Jacke und wischte sich über die Stirn.
Die Hoffnung, dass sich hier das Versteck des Geldes befinden konnte, hatte Mike bereits begraben, als er angekommen war. Es gab nichts zu erklettern. Mike erinnerte sich, dass Carola von alten Mauern angetan war, von Brückenpfeilern oder von den Abhängen an Flusstälern, von denen es rund um Koblenz so viele gab. Diese Landschaft hier passte überhaupt nicht dazu. Die Gegend war flach. Carola war sicher nicht an der Fassade der Neuwieder Stadtwerke hochgeklettert, und auch nicht an den Anlagen der Firma nebenan. Vielleicht war das Versteck ein Baum? Das war ein ganz neuer Gedanke. Aber auch damit konnte das Langendorfer Feld nicht dienen.
Plötzlich mischte sich Motorengeräusch in das Gedröhne. Ein knatterndes Mofa bog um die Ecke und kam auf das Haus zu. Der Fahrer stoppte sein Gefährt neben dem Eingang, keine zwei Schritte von Mike entfernt. Auf dem Gepäckträger hatte er mit Gummiseilen einen Kasten Königsbacher Bier befestigt, am Lenker baumelte ein Jutesack, aus dem Schnapsflaschen ragten.
Der Mann stellte den Motor aus, blieb aber auf seinem Gefährt sitzen.
»Was wollen Sie denn hier?«, fuhr er Mike an. »Das ist Privatbesitz.« Er schwang sich vom Sattel. »Was ist? Red ich Chinesisch?«
So, wie der Mann aussah, hatte sich Mike immer Rübezahl vorgestellt. Hellgraue Augen funkelten aus einem Gesicht, das fast vollständig von einem rötlichen Krausbart bedeckt war. Die schütteren Haare waren in derselben Farbe und reichten bis auf die Schultern.
»Ich habe nur eine Frage«, sagte Mike.
Der Mann ging auf das Haus zu und schloss die Tür auf. Ohne Mike weiter zu beachten, räumte er seinen Einkauf in einen schmalen Flur und ging hinein. Die Tür fiel knallend ins Schloss, und
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