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Schängels Schatten

Titel: Schängels Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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Verkehrslärm.
    Er klappt den Kasten auf. Die graue Röhre darin ist mit Pappe und zusammengeknülltem Plastik fixiert. Er nimmt das Material sorgfältig heraus.
    Ohne Hast schraubt er die Teile zusammen und hebt die Röhre langsam auf die Schulter. Sie ist ziemlich schwer. Lange kann er das Ding so nicht halten. Er sucht den gelben Kran. Wie weit mag er entfernt sein? Eineinhalb Meilen vielleicht. Er zwingt sich, ruhig das Ziel anzupeilen.
    Der alte Mann löst die Sicherung. Dabei verliert er den Kran aus dem Visier. Ganz langsam bewegt er das Rohr, bis er ruhig steht und sein Ziel wieder vor sich sieht. Das Rohr gibt ein quäkendes Geräusch von sich. Er erschrickt und bemüht sich, möglichst flach zu atmen. Wie von selbst löst seine Hand den Schuss aus.
    Zuerst passiert gar nichts. Der alte Mann spürt, wie ihm der Schweiß in den Nacken rinnt, und einen kleinen Moment lang kommt ihm der Gedanke, dass man ihm ein funktionsuntüchtiges Gerät verkauft, ihn aufs Kreuz gelegt hat.
    Unvermittelt spürt er, wie es hinter ihm zu vibrieren beginnt. Er taumelt zur Seite. Das graue Rohr droht ihm von der Schulter zu rutschen. Und während er noch Halt sucht, sieht er, wie die Rakete davonzischt und scheinbar unendlich langsam einen Bogen aus dem Wald hinaus über die Straße beschreibt.
    Er fängt sich, hält das rutschende Rohr am Haltegriff fest. Er starrt nach vorn. Er steht plötzlich in einer Wolke aus Gestank. Der Geruch erinnert an verfaulte Eier.
    In diesem Moment blitzt es irgendwo dahinten auf. Wäre das dumpfe Donnern nicht gewesen, hätte man es für einen Sonnenreflex halten können. Der alte Mann wischt sich über die Stirn und versucht, etwas zu erkennen.
    Wie in Zeitlupe neigt sich der Kran zur Seite. Doch dann senkt sich der Turm aus Stahlverstrebungen immer schneller wie ein gefällter Baum.
    Als die Stahlverstrebungen auf den Boden krachen, donnert es zum zweiten Mal.

13
    Mikes Herzschlag beschleunigte sich, als das Taxi vom Parkplatz Oberwerth davonrollte und ihn am Ort des nächtlichen Mordanschlags zurückließ. Zum Glück war jetzt heller Tag. Niemand war zu sehen. Das Verkehrsrauschen von der Brücke war genauso stark wie in der Nacht, wirkte jetzt aber weniger bedrohlich. Mike sah sich um, entdeckte immer noch niemanden und rannte zum Auto.
    Die Kugel war durch das Seitenfenster in die ausgestopfte Tasche gedrungen und hatte ein Loch hineingerissen. Zum Glück war kaum Regen in den Wagen gedrungen. Das Auto war nicht verschlossen gewesen. Geld und Papiere befanden sich aber immer noch in der Ablage. Nichts wie weg hier, dachte Mike. Er schob die Tasche auf den Beifahrersitz, startete den Wagen und fuhr los. Nervös behielt er den Rückspiegel im Auge. Niemand folgte ihm.
    Bald bemerkte er, dass er mit dem Glasschaden die Blicke der Passanten auf sich zog. Auf der Karthause fuhr er an einer Bushaltestelle rechts ran und versuchte, das Fenster herunterzukurbeln. Das Glas verkeilte sich, die kaputte Scheibe blieb stecken. Mike entschloss sich zur Radikallösung. Vorsichtig klopfte er das Glas heraus. Nun war es nicht mehr so auffällig. Dafür hatte er ständig das Fenster offen.
    Als er auf der Hunsrückhöhenstraße Gas gab, wurde der Krach im Wagen so gewaltig, dass er keine Musik hören konnte und stattdessen in einem unablässigen, düsenartigen Brausen saß. Bei Pfaffenheck fuhr er auf die Autobahn Richtung Wiesbaden, und nun wurde es mit dem Lärm erst richtig schlimm. Es kam ihm vor, als säße er in einem Wirbelsturm.
    An der nächsten Tankstelle machte Mike wieder Pause. Ein Glück, dass sich die Benzingeschäfte heute in kleine Supermärkte verwandelt hatten. Er erstand eine Rolle Isolierband und fing auf dem Parkplatz an, eine Aldi-Tüte, die er noch im Auto gehabt hatte, anstelle der Scheibe in das Loch zu kleben.
    Er war gerade fertig, als plötzlich jemand neben ihm auftauchte.
    »Sie – damit können Sie aber nicht fahren!«
    Der Mann trug Kniebundhosen und einen grünen Kordhut. Er wirkte auf der Autobahn so fehl am Platz wie Luis Trenker in einem Science-Fiction-Film.
    »Warum nicht?«, fragte Mike.
    »Das verstößt gegen die Straßenverkehrsordnung. Sie müssen auch an den Seiten freie Sicht haben. Ich kann Ihnen das sagen. Ich bin pensionierter Amtsrichter.«
    Mike unterdrückte einen Fluch und ging wieder in den Verkaufsraum. Hier brachte er den Mann an der Kasse dazu, ihm ein Stück durchsichtige Folie zu überlassen.
    Das Plastik knatterte ein wenig, aber wenn Mike nicht

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