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Schängels Schatten

Titel: Schängels Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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ganz so schnell fuhr, war es ruhig genug im Wagen, um erst ein wenig Rachmaninow, dann Gershwins »Rhapsody in Blue« lauschen zu können. Mitten in der rasanten Schlusscoda traf Mike in der Wiesbadener Innenstadt ein.
    Alte Fassaden säumten die Hauptstraße. Mike war noch nie in Wiesbaden gewesen. Er fragte sich, wo wohl die berühmten Kurparks waren, die es in Wiesbaden in Hülle und Fülle geben sollte. Immerhin lag gegenüber vom Hauptbahnhof eine schmale grüne Fläche, die man entfernt mit Kurbetrieb in Verbindung bringen konnte.
    Mike kämpfte sich durch das Verkehrsgewühl weiter und suchte einen Parkplatz. Sicher gab es irgendwo einen Stadtplan, an dem er sich orientieren konnte. Als er auf einer Art Mini-Autobahn wieder aus der Stadt hinauszufahren drohte, bog er kurz entschlossen in den nächsten Stadtteil ein. »Bierstadt«, las Mike. Ein schöner Name, vor allem bei dieser Hitze, dachte er.
    Am rechten Straßenrand war eine junge Frau damit beschäftigt, mit der einen Hand einen Kinderwagen, mit der anderen eine Hundeleine festzuhalten. Die Leine war mindestens vier Meter lang; das andere Ende verschwand in einer Hecke. Wahrscheinlich machte Bello dort gerade sein Geschäft.
    Mike hielt, lehnte sich auf die Beifahrerseite und kurbelte die Scheibe herunter. »Entschuldigung«, sagte er. »Können Sie mir sagen, wo die Abeggstraße ist?«
    »Wie soll die heißen?«, fragte die Frau.
    Mike wiederholte den Straßennamen. Plötzlich tauchte ein pickeliger Jugendlicher auf. Er trug ein schwarzes T-Shirt mit dem weißen Aufdruck »Heul doch!«.
    »Die ist im Komponistenviertel«, sagte er und deutete in die Gegend. »Am besten über die Rheinlandstraße, dann die Leibnizstraße lang und auf die Sonnenbergstraße. Dann geht’s rechts rauf.«
    Mike bedankte sich und suchte die Abzweigungen. Der Weg führte in ein kleines Tal, wo es endlich den typischen Wiesbadener Kurpark gab. Das Kurviertel war hier sogar ausgeschildert. Als Mike das Schild »Richard-Wagner-Straße« sah, ließ er den Peugeot den steilen Berg hinaufröhren und fand sich inmitten eines Labyrinths von schmalen Alleen wieder. Zierpflanzen stiegen wie grüne Fontänen in den Gärten empor und neigten sich in dicken Büscheln auf die Straße. Hinter Zäunen und Hecken kauerten exklusive Anwesen. Mike kam in die Schumannstraße, aber er sah niemanden, den er nach seinem Ziel fragen konnte. In der Händelstraße staunte Mike über gigantische Säulen, die an einen griechischen Tempel erinnerten. Dann bemerkte er, dass er in einer Einbahnstraße war.
    Plötzlich änderte sich das Bild. Ein neues Anwesen tauchte auf, diesmal eines aus Beton, mit Stacheldraht und Überwachungskameras. Uniformierte Wachleute behielten Mikes Wagen im Auge, während er langsam vorbeifuhr. Ihm dämmerte, dass es sich bei dieser Anlage um das Bundeskriminalamt handeln musste.
    Dann fand er zu den Komponisten zurück. Ein Mann, der gerade damit beschäftigt war, seinen Mercedes rückwärts einzuparken, erklärte ihm, wie er in die Abeggstraße kam.
     
    Das Haus von Thomas Wood war von der Straße aus kaum zu sehen. Eine Hecke versperrte die Sicht. Dann wurde das dichte Grün von einem schmiedeeisernen Tor abgelöst. Dahinter erstreckte sich eine Einfahrt mit weißem Kies. Das Dach duckte sich unter grau glänzendem Schiefer wie eine Krabbe in ihrem Panzer.
    Mike ließ den Wagen langsam vorbeirollen und stellte ihn ein Stück entfernt ab. Zu Fuß kehrte er zurück. Am Eingang neben dem Tor befand sich ein Klingelknopf in einer runden Messingeinfassung. Darüber war die Hausnummer angebracht, die Deborah Nair genannt hatte. Einen Namen fand er nicht. Wenn es keine Verständigungsprobleme gegeben hatte, musste er hier richtig sein.
    Mike wollte gerade auf den Klingelknopf drücken, da bemerkte er am Haus einen Sonnenreflex. In der oberen Etage öffnete jemand ein Fenster. Mike sah eine junge Frau in einem weißen Kittel, die mit langsamen Bewegungen die Scheibe putzte. Kurz darauf schloss sich das Fenster wieder.
    Mike drückte die Klingel.
    »Sie wünschen?« Die Stimme drang aus einer Sprechanlage.
    »Ich habe eine Nachricht für Mr. Nair«, sagte Mike.
    »Für wen?«
    »Mr. Richard Nair. Seine Tochter sagte mir, er sei hier.«
    »Sie müssen sich irren.«
    »Das ist doch das Haus von Thomas Wood?«
    Die Person auf der anderen Seite schwieg.
    »Wie war doch gleich Ihr Name?«, kam es dann aus dem Lautsprecher.
    »Engel. Mike Engel.«
    »Und wen haben Sie da eben

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