Schärfentiefe
wohin sein zweifelhafter Ruf nicht gedrungen war. Dort machte er die große Karriere. Den Rest kennen Sie ja.“
„Wie haben Sie das aufgenommen?“
„Für mich war es schrecklich. Mein Leben wurde öde, nachdem Stefan weggegangen war. Da jeder wusste, dass er mein bester Freund gewesen war, übertrug sich automatisch der Zorn gegen ihn auf mich, und damit war es vorbei mit dem gesellschaftlichen Leben. Aber ich hatte keine Möglichkeit wegzugehen. Meine Frau erwartete ein Kind, und beruflich war ich auch nicht so flexibel wie er. Er hat eine große Lücke hinterlassen. Dann kam er zurück, und nun ist er wieder fortgegangen. Und ich bin wieder allein.“
Blesch schluchzte.
Die Medikamente mussten in der Tat eine verheerende Wirkung auf seine Persönlichkeit haben. Es schienen zwei verschiedene Personen zu sein, mit denen sie es heute und das letzte Mal zu tun gehabt hatte. Der zynische Blesch vom letzten Mal hatte einem traurigen Kranken Platz gemacht.
Irgendwie konnte sie Blesch verstehen. Er hatte den Kürzeren gezogen. Die Schuld an allem hatte er Elsa Tin zugeschoben. Auch wenn ihr einziger Fehler darin bestanden hatte, dass sie das Opfer war. Aber für Blesch war sie der Grund, dass Urban fortgehen musste und er mit seinem kleinen Leben zurückblieb.
Beim letzten Mal hatte es Paula vor diesem Mann geekelt. Heute empfand sie nur Mitleid. Er war im wahrsten Sinne des Wortes ein Verlierer, heute und – soweit sie das nach seinen Erzählungen beurteilen konnte – sein ganzes Leben lang.
„Danke, dass Sie mir das erzählt haben.“
„Ich hatte das Gefühl, dass ich damit etwas gutmachen könnte. Werden Sie mich wieder einmal besuchen?“, fragte Blesch kleinlaut.
„Ich werde Ihnen eine Biografie schicken“, wich Paula aus. Einen Moment lang war sie versucht gewesen, zu Blesch „bringen“ zu sagen, aber dann hatte sie ihr aufkeimendes Mitleid mit dem Mann besiegt. Blesch hatte verstanden. Er bot ihr an, dass sie ihn jederzeit kontaktieren könnte und verabschiedete sich höflich. Beide wussten, dass sie sich wohl kaum wiedersehen würden.
Die Informationen musste Paula erst einmal verdauen. Wie konnte ein Mensch so durch und durch schlecht und dennoch so erfolgreich sein? Wo blieb da die Gerechtigkeit?
Oder gab es sie wirklich nicht, nur gute oder schlechte Anwälte? Aber das wollte sie nicht akzeptieren. Sie hatte keine Lust, ihre optimistische Sichtweise der Dinge zu ändern. Stur beharrte sie darauf, dass es irgendwo so etwas wie eine ausgleichende Gerechtigkeit geben müsse. Sie wollte ursprünglich nichts anderes tun, als eine nette Lebensgeschichte über einenberühmten und interessanten Menschen schreiben. Mittlerweile war die Auftragsarbeit zu einer Farce, mehr noch, zu einer gefährlichen Plage geworden.
Würde sie alles berücksichtigen, was sie über Urban erfahren hatte, dann wäre die Biografie unverkäuflich, Santo bekäme einen Tobsuchtsanfall und sie kein Honorar. Nicht, dass es ihr in erster Linie ums Geld ging, aber sie war Perfektionistin. Santo wollte eine ordentliche Biografie – die sollte er auch bekommen.
Inzwischen hatte sie das Computerfachgeschäft erreicht. Das Bimmeln des Glöckchens holte sie in die Realität zurück. Jetzt hieß es Entscheidungen in Sachen Gigahertz und Megabyte zu treffen. Ada und Doktor Znan würden noch eine Weile auf ihren Rückruf warten müssen.
2.
Die Kosten für das Taxi konnte sich Paula sparen. Statt der sperrigen Hardware, mit der sie bisher gearbeitet hatte, trug sie ihr neues Computerhirn in einer schicken Tragetasche nach Hause. Alles Negative hatte auch immer etwas Positives: Endlich hatte sie sich einen Laptop geleistet, den sie sich schon immer gewünscht hatte. Im Laden hatte sie einen Computerfreak als Verkäufer erwischt. Zwar verstand sie nur die Hälfte dessen, was er ihr sagte, aber er war so freundlich und voller Begeisterung, dass sie ihm vertraute. Was wäre ihr auch anderes übrig geblieben? Sie erklärte ihm, was sie brauchte, und er stellte ihr alles zusammen. Praktisch. Der Endbetrag überstieg zwar um einiges jenen, den sie von der Versicherung erwarten durfte, aber das war in Anbetracht der hohen Kosten für die Sicherheitstür auch schon egal. Immerhin konnte sie ab sofort an jedem Ort der Welt ihr Büro einrichten, arbeiten und im Internet surfen.
Eine Ahnung, wie sie die Dinge aktivieren und verbinden sollte, hatte Paula nicht, aber Clea war zu Hause und setzte sich sofort hin. Sie schloss dieses Kabel dort
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