Schärfentiefe
das, was sie abbildeten, sondern wie sie gemacht waren, und war fasziniert: „Diese Farbkombinationen, dieser silbermatte Glanz und der plastische Eindruck.“
Paula versuchte das Gesicht von Frau Doktor Znan wiederzuerkennen. Aber auf den meisten Fotos waren die Gesichter bis zur Unkenntlichkeit verschwommen. Dem Schöpfer war es wohl mehr um die Körper gegangen. Es war ganz offensichtlich nie sein Ziel gewesen, eine Person als solche abzulichten.
Sie wollte gerade die Fotos in die Schachtel zurücklegen, als Gerlinde Wagner am Tisch erschien.
„Hallo“, begrüßte sie die drei herzlich.
„Das freut mich, dass wir uns an meinem letzten Tag hier sehen.“
Sie zwinkerte Paula zu.
„Das mit dem Job hat bestens geklappt, danke fürs Daumenhalten. Die Leute scheinen sehr nett zu sein, und das Arbeitsgebiet ist interessant. Ich mache die Assistenz bei einem Werbefotografen, der für große Firmen arbeitet. Da gibt es sicher viel zu lernen.“
Alles in allem sah Gerlinde Wagner besser aus als bei den letzten Treffen.
„Ich habe Ihnen zu danken“, sagte sie zu Paula. „Das Gespräch mit Ihnen hat mir sehr gut getan. Ich weiß jetzt, dassnicht ich die Schuldige war und dass man Mut haben muss, wenn man Gerechtigkeit will. Den Mut habe ich jetzt, und den wird mir auch niemand mehr so schnell nehmen können. Ich wollte Sie ohnehin in den nächsten Tagen anrufen, um Ihnen alles über Urban zu erzählen, was ich weiß.“
„Vielleicht können Sie’s mir ja jetzt erzählen. Haben Sie kurz Zeit? Wir möchten Ihnen etwas zeigen und Sie um Ihren Rat bitten.“
„Ich tue Ihnen gern einen Gefallen“, antwortete Wagner ehrlich. „Ich muss nur meinen Kollegen Bescheid geben, dass ich Pause mache“, sagte sie und verschwand im Gewühl.
Keine zwei Minuten später war sie wieder zurück.
„Wie kann ich Ihnen helfen?“
Erwartungsvoll blickte sie in die Runde.
„Meine Freundin“, dabei zeigte Paula auf Ada, „hat bei unserem Besuch im Fotoatelier einige Briefe und Fotografien …, hm, sagen wir, ausgeborgt. Nun hat sich herausgestellt, dass Urban und die Institutsleiterin Doktor Znan so etwas wie eine Liebesbeziehung miteinander hatten. Wissen Sie etwas darüber?“
„Ich habe mir gedacht, dass Sie auch das herausbekommen würden“, war Wagners gleichmütige Antwort.
„Sie haben die Znan ja kennengelernt. Sie ist nicht gerade das, was man eine feminine Erscheinung nennen kann. Sie hatte wohl anfangs auch keine Ahnung von Urbans Doppelleben. Sie blühte sichtlich auf, als Urban begann, ihr falsche Hoffnungen zu machen. Sie hatte sich in ihn verliebt, und eines Tages vertraute sie mir an, dass sie ihn sofort heiraten würde, wenn er sie fragte. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nichts von seiner Abartigkeit, und auch ich glaubte, dass es ihm mit ihr ernst sei. Als er mich dann aber in sein Fotostudio lockte und sich an mir verging, wurde mir klar, dass er nur Spielchen mit ihr spielte.“
Sie machte eine Pause und sah in die Runde. Aber weder Ada, noch Kurt oder Paula wollten etwas sagen. Alle drei lauschten gespannt ihrer Erzählung.
„Ich ging damals in meiner Verzweiflung zu ihr, weil ich dachte, sie würde mir helfen, wenn sie erkannte, dass er sie betrog. Aber das Gegenteil war der Fall. Sie bekam einen hysterischen Anfall und beschuldigte mich, ihn ihr abspenstig gemacht zu haben und eifersüchtig auf ihre Beziehung mit ihm zu sein. Ich gab ihr dann den Schlüssel zum Fotostudio und habe noch am gleichen Tag gekündigt. Den Rest kennen Sie.“
Paula nickte. Sie verstand nun, weshalb die Wagner Urban nicht angezeigt hatte. Niemand hätte ihr geglaubt, vor allem weil Znan alles abgestritten und die Geschichte aus ihrer Perspektive erzählt hätte.
„Haben Sie sie später nochmals getroffen?“
„Nein, aber eine Freundin, die noch am Institut arbeitet, hat mir erzählt, dass es einen riesigen Krach zwischen den beiden gegeben haben soll und es kurz so ausgesehen hätte, als würde Urban das Institut verlassen. Ich nehme daher an, dass die Znan sehr wohl in das Fotostudio gegangen ist und dort die Bestätigung für alles, was ich ihr erzählt habe, gefunden hat.“
„Könnten Sie sich vorstellen, dass die Znan zu einem Mord fähig wäre?“
Paula witterte eine Chance für ihr heute geplantes Vorhaben.
„Nicht mehr, aber auch nicht weniger, als ich dazu fähig gewesen wäre.“
„Könnten Sie es sich vorstellen?“, wiederholte Paula ihre Frage.
„Durchaus. Urban hatte sie vor allen zu
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