Schafkopf
Bruchteil eines Augenblicks, dass man sich beeilen musste, ihn zu greifen und festzuhalten, bevor er sich wieder verflüchtigte. Ein oder zwei Mal zuckte eine Ahnung durch Wallners Kopf, als er unter dem Apfelbaum stand. Mehr ein Gefühl als ein konkreter Gedanke. Mit diesem ephemeren Zeug war aber nichts Rechtes anzufangen. Bestimmt, es gab einen Zusammenhang. Aber der Teufel wusste, wo.
Man hatte ein rot-weißes Band gespannt, um Gaffer auf Distanz zum Haus zu halten. Zunächst sah es aus, als sei das hier am Ende der Welt kaum nötig. Doch innerhalb weniger Minuten hatten sich fast fünfzig Menschen hinter dem Band angesammelt und verfolgten die Polizeiarbeit mit lebhaftem Interesse. In der Menge sah Wallner den bärtigen Mann, den er vorhin nach dem Weg gefragt hatte. Der Mann sah zum Haus wie die meisten anderen auch. Aber er tat es auf eine Weise, die sich von den anderen Schaulustigen unterschied. Wallner hatte den Eindruck, als sinniere der Mann, ähnlich wie er selbst, darüber, was wohl die Ursache für den Tod des Stanislaus Kummeder war. Und Wallner entdeckte in den Augen des Mannes eine Wachheit und ein Feuer, das er beim ersten Treffen übersehen hatte. Er ging zum Absperrband und gab dem Mann ein Zeichen, auf die andere Seite zu kommen.
»Sie haben den Herrn Kummeder gekannt?«
Der Mann nickte.
»Ich bin Kommissar Wallner von der Kripo Miesbach.«
»Haidbichler Michael. Mir gehört der Hof da.« Er deutete auf den Bauernhof, an dem Wallner und Mike vorbeigekommen waren.
»Gehört das Haus dazu?«
»Ja. Der Herr Kummeder ist mein Mieter gewesen.«
»War irgendwas Ungewöhnliches mit dem Herrn Kummeder in letzter Zeit?«
»Sie meinen, wieso ihn jemand hätt umbringen sollen?«
»Besuch von Leuten, die Sie noch nie gesehen haben. Oder hatte er Streit mit jemandem?«
»Schon.«
»Was?«
»Streit hat er gehabt.«
»Mit wem und wann?«
»Das war in der Wirtschaft vom Zimbeck. Die is net weit von hier. An Kilometer vielleicht. An der Mangfall unten. Ich bin da net oft. Vielleicht zwei Mal im Jahr. Dann trink ich a Bier und geh wieder.«
»Und das war jetzt vor kurzem?«
»Donnerstagabend. Da hat er sich gestritten. Mit einem jungen Burschen. Der hat ganz schön was getrunken g’habt.«
»Der Kummeder?«
»Na. Der andere.«
»Sie wissen nicht, wer das war?«
»Das war der junge Lintinger. Von die Lintingers vom Schrottplatz da unten im Tal.«
»Um was ging’s bei dem Streit?«
»Der Lintinger hat sich aufgeregt, weil der Kummeder ständig jammern tät wegen seiner Freundin, die wo verschwunden is. Und er sollt endlich aufhören, dass er allen Leuten auf die Nerven geht, hat er gesagt. Also der Lintinger. Die wär eh tot. Und da is der Kummeder richtig zündtig geworden und hat umeinandg’schrien, der Lintinger sollt … also ’s Maul halten, wie man so sagt. Er hätt ja keine Ahnung. Und der Lintinger hat dann gesagt, er hätt die Leich gesehen. Und wenn er’s net glauben wollt, dann sollt er den Anwalt fragen. Also der Kummeder. Aber dann sind der alte Lintinger und der Zimbeck gekommen und haben gesagt, der junge Lintinger sollt net so an Schmarrn reden und er hätt einfach zu viel getrunken, und dann ham s’ ihn wegbracht.«
Wallner durchzuckte es für einen Augenblick. »Der hat wirklich gesagt, er hätte die Leiche der verschwundenen Freundin gesehen?«
»Hat er g’sagt. Die Leiche.«
»Und dieser Anwalt? Hat der Falcking geheißen?«
»Ja. Des könnt gut sein.«
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14 . Kapitel
15 . Juni 2007 , 22 Uhr 10 : Der Abend war mild und der Tag noch nicht lange verloschen. Im Westen war ein letztes Glimmen am Himmel. Die beiden Männer saßen auf der Terrasse und tranken Obstler und Frankenwein. Schauchmeier hatte heute einen besonderen Bocksbeutel aufgemacht. Der habe damals ein Vermögen gekostet, behauptete er. Falcking vermutete, dass das so um die zehn Mark gewesen waren. Der Wein war süß, fade und hatte jede Kraft, die einmal in ihm gesteckt haben mochte, verloren. Aber heute war nicht der Tag, dem Schwiegervater zu widersprechen.
Seit vorgestern hatten sie die Diagnose. Alzheimer war eine langwierige Krankheit, wenn sie einen alten Menschen traf. Wenn es einen mit Mitte fünfzig erwischte, ging alles sehr schnell. Von der Diagnose bis zum Tod waren es oft nicht mehr als drei Jahre.
Bernd Schauchmeier war sechsundfünfzig, als er die Diagnose bekam, und die Angst war ihm derart in die Glieder gefahren, dass er einen halben Tag nicht sprechen wollte. Es hatte
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