Schakale Gottes
seit Wochen bei ihm wohne und jedweden mit endlosen Fragen traktiere. Im Moment sei er allerdings besorgt um ihn, da er sich in den letzten sieben Tagen nicht mehr habe blicken lassen. Früher sei er auch schon mal ein oder zwei Tage nicht nach Hause gekommen – er strolche wegen eines Berichtes, den er über das besetzte Polen schreibe, viel an der galizischen Grenze herum –, aber über eine Woche fortzubleiben, ohne Bescheid zu geben, das sei rücksichtslos. Man mache sich ja schließlich Gedanken.
Kriminalmeister Bobak wurde hellwach. »Seit wann haben Sie den Franzosen nicht mehr gesehen?« fragte er so scharf, daß der Wirt ihn betroffen ansah.
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Auf die Leiche, die zwischen Nowo-Radomsk und Gidle gefunden wurde. Wir glauben zwar, den Getöteten identifiziert zu haben. Es ist aber denkbar, daß ein anderer …«
»Sie meinen der Franzose …?«
Pawel Bobaks Hirn arbeitete fieberhaft. War die Annahme, der Journalist könnte der Ermordete sein, wirklich so abwegig? Natürlich bestand auch die Möglichkeit, daß der Franzose diesen Waclaw Wojkowski umgebracht hatte. Vielleicht hatten die beiden sich kennengelernt … Das viele Geld …
»Sind seine Sachen noch im Haus?«
»Ja. Alles ist da.«
Bei siebzigtausend Rubel kann man auf alte Sachen verzichten, dachte Pawel Bobak und fragte: »Wie heißt der Franzose?«
»Henri Martell.«
Frage um Frage folgte. Immer mehr gelangte der Kriminalist zu der Überzeugung, daß das Verschwinden der beiden Männer in engem Zusammenhang stehe. Oder präsentierte ihm das Schicksal gar ein drittes Verbrechen?
Pawel Bobak war sich bewußt, daß er in Czenstochau keine Nachforschungen anstellen durfte, ohne die örtliche Kriminalpolizei zu verständigen. Seinen Fall wollte er jedoch um nichts in der Welt abgeben. Er suchte deshalb am nächsten Morgen seinen Kollegen auf und teilte ihm mit, daß er sich in Verfolgung der ihm übertragenen Mordsache gezwungen sehe, Nachforschungen entlang des Flußlaufes der Warthe anzustellen. Er bitte deshalb darum, seine Recherchen nicht als einen Eingriff in die Kompetenz der Czenstochauer Behörde anzusehen.
Man dankte ihm für sein korrektes Verhalten, und Kriminalmeister Bobak machte sich auf den Weg zum Bahnhof, wo weit über zwanzig Droschken standen. Von Wagen zu Wagen ging er, aber kein Kutscher konnte ihm weiterhelfen. Niemand wußte etwas von einer Nachtfahrt durch Rudniki, und alle behaupteten, sie müßten von einem so lukrativen Geschäft gehört haben, wenn es zustande gekommen wäre.
Pawel Bobak traute den Kutschern nicht. Es erleichterte ihn daher, als er am Abend den Bescheid erhielt, daß Frau Wojkowski am nächsten Tag nach Nowo-Radomsk kommen werde, um die Leiche zu identifizieren.
Ihre Aussage warf jedoch alle bisher angestellten Überlegungen über den Haufen. Der Tote war nicht Waclaw Wojkowski. Seine Frau weinte dennoch bittere Tränen. Sie vermutete, ihr Mann habe sie mit der Postkarte irregeführt, um in Ruhe mit ihrem Geld verschwinden zu können. Wahrscheinlich nach Amerika. { * }
Es war typisch für Pawel Bobak, daß er in seiner Enttäuschung Kombinationen anstellte, die so phantastisch waren, daß er sich selbst zur Ordnung rufen mußte. Trotzdem drängten sich ihm immer wieder Überlegungen auf, von denen er sich nicht befreien konnte. Den Anstoß gab Frau Wojkowskis Reaktion. Ihre Vermutung über die Auswanderung ihres Mannes schien ihm zu schnell gekommen zu sein. Es reizte ihn plötzlich, sich vorzustellen, sie sei ihrem Mann, nachdem er das Geld bei der Bank abgehoben hatte, bis Czenstochau gefolgt und habe ihn dort, möglicherweise gemeinsam mit einem Geliebten, erschlagen und in Ermangelung eines besseren Versteckes zunächst einmal in der Matratze eines Liegesofas verborgen. Natürlich mußte die Leiche fortgeschafft werden. Ein großer Korb stand vielleicht zur Verfügung. Mit einer Kutsche wurde der Transport bewerkstelligt. Dann schrieb sie sich selbst eine Postkarte und verreiste. Das verschaffte ihr ein Alibi und belegte gleichzeitig, daß ihr Mann sie mit einem raffinierten Trick hereingelegt und sich mit ihrem Geld auf und davon gemacht hatte. Und wenn seine Leiche gefunden wurde, brauchte sie nur zu erklären: Bedaure, das ist nicht mein Mann.
Kriminalmeister Bobak war sich darüber klar, daß sein Hirn kühne Volten schlug. Seine Überlegungen ließen ihn aber nicht mehr los, und so fuhr er am nächsten Morgen nach Kielce. Er wollte feststellen,
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