Schalck-Golodkowski: Der Mann, der die DDR retten wollte (German Edition)
Weise könnte er den Schritt – der ja wohl auch eine Art Bruch mit der Vergangenheit darstellt – vor sich selbst rechtfertigen. Außerdem ist Schalck selbst Geheimdienstmann, er weiß, wie es in diesem Gewerbe zugeht. Berufskrankheit. Natürlich stecke Mielke dahinter. Der, Stoph und Krolikowski waren auf Moskaus Linie, sie hätten darum den Strauß-Kredit und die Kontakte zum Westen abgelehnt. Und nur weil der Generalsekretär sich anders entschieden habe, wären sie dann eingeknickt. So geht die Rede, Schalck ist wütend, aber mit sich im Reinen.
Die letzten, mit denen er in Berlin gesprochen hat, wären Junker, Vogel und ehemalige Mitstreiter gewesen. Der Bauminister Wolfgang Junker, mit dem er seit Jahren befreundet war, sei völlig niedergeschlagen gewesen. Alles wäre verloren, Krenz habe keine Macht mehr. »Sie werden uns hängen.« Wolfgang Junker schlug vor, sich in die Sowjetunion abzusetzen. Er hatte eine Skizze dabei, wie man zu den Russen nach Wünsdorf gelangte. Das kam für ihn nicht infrage, sagte er. Junker ging. Und jagte sich vier Monate später, am 9. April 1990, eine Kugel in den Kopf. Schalcks Frau muss ähnlich suizidale Reflexe bei ihrem Mann befürchtet haben und schloss die Dienstpistole weg.
Nach Junker kam Erhard Wiechert, Generaldirektor der Imes Import-Export GmbH, einer Firma von KoKo, die 1981 auf Weisung von Günter Mittag gegründet worden war. Stammkapital eine halbe Million, Sitz im Internationalen Handelszentrum in der Friedrichstraße, Geschäftsaufgabe: der Handel mit militärischen Gütern. An diesem 2. Dezember hatte ein Bürgerkomitee in Kavelstorf bei Rostock ein Lager geöffnet und Handfeuerwaffen und Munition, die zur Verschiffung bereitlagen, entdeckt und unter Kuratel gestellt. Auch Waffen aus der Bundesrepublik waren darunter, illegal beschaffte, aber mit ordentlichen Papieren versehen. Sieben Zoll-Papiere der Bundesrepublik wurden in Kavelstorf entdeckt, nicht einmal die Marken der Bundesfinanzverwaltung fehlten darauf. In Deutschland herrscht eben Ordnung.
Am Abend gegen 23 Uhr, kamen Rechtsanwalt Vogel und dessen Frau Helga ins Büro in der Wallstraße. Zwei Stunden hätte er noch, ehe man ihn verhaften würde, sagte Freund Vogel. Ob der Unterhändler dies in der Pankower Residenz des Ständigen Vertreters Bertele, von dem er sich soeben verabschiedet hatte, gesteckt bekam oder aus einer anderen Quelle informiert wurde, ließ er offen. Diese Mitteilung forcierte die Panik, und sollte schließlich zu jenen Schritten führen, die von vielen Vertrauten als Kurzschlussreaktion bezeichnet werden sollte. Für Schalck waren die Würfel gefallen, nachdem er meinte zu sehen, dass jene, die er bisher für seine Freunde und Genossen hielt, merklich auf Distanz zu ihm gingen.
Im Haus waren noch etliche der engsten Mitarbeiter. Manfred Seidel, der Stellvertreter, Klaus-Dieter Uhlig, Leiter der Abt. Handelspolitik in der Hauptabteilung I von KoKo, und Dieter Paul, Chef der Hauptabteilung III, die sich seit 1975 mit der Koordinierung von Embargogeschäften beschäftigte, sich vor allem um die Mikroelektronik kümmerte. Schalck sagte, dass er sich nicht mehr in der Lage sehe, den Bereich Kommerzielle Koordinierung weiter zu leiten, was wie ein Rücktritt klang. Er müsse erst einmal Urlaub machen.
Gisela Brachaus, die Sekretärin, brach in Tränen aus und konnte kaum die Briefe schreiben, die ihr nunmehriger Ex-Chef diktierte.
Seinen letzten Brief schrieb Alexander Schalck-Golodkowski mit der Hand. »Gib mir persönlich die Chance, in geordneten Verhältnissen über fast 40 Jahre im Dienst unseres Staates nachzudenken«, lässt er DDR-Ministerpräsident Hans Modrow wissen und verwischt absichtsvoll seine Spur: »Ich fahre nicht in die BRD, nach Westberlin oder NATO-Staaten.«
0.40 Uhr passierte er mit seiner Frau Sigrid den Grenzübergang Invalidenstraße.
Zur gleichen Stunde schaukelten vor Malta ein US-und ein sowjetisches Kriegsschiff. Doch wegen des Sturms musste das Gipfeltreffen von Gorbatschow und Reagan auf das im Hafen als Reserve bereitliegende Kreuzfahrtschiff »Maxim Gorki« verlegt werden. Dort zogen die beiden Bilanz der von ihnen angestifteten Entwicklung. Ihre Abschlusserklärung, der Kalte Krieg sei zu Ende, war das Signal zum letzten Gefecht, zum Finale des Sozialismus.
OibE
Im Zentrum der Angriffe auf Schalck-Golodkowski stand dessen Anbindung an das MfS. Er wurde medial zur Zentral-und Schlüsselfigur aller erfundenen Geheimdienst-Schweinereien
Weitere Kostenlose Bücher