Schalom
bemühen, das vor ihr zu verheimlichen, er würde kein Wort sagen, auch Menachem hätte so reagiert.
Sie stellte das Tablett auf den Tisch, öffnete die Flasche und schenkte ihm ein Glas Grapefruitsaft ein.
»Trink, es ist kalt«, sagte sie. »Das ist gut in diesem Klima.«
Dann erkundigte sie sich plötzlich, wann er angekommen sei, mit welcher Fluggesellschaft er geflogen sei, wie lange der Flug gedauert habe, wer das alles organisiert habe, wo er wohne und was er dort den ganzen Tag machen müsse. Sie fragte und fragte und er antwortete, doch sie begriff nicht alles, was er sagte. Er lächelte, während er ihre Fragen beantwortete, und sie dachte ständig an Menachem, den Großvater dieses Jungen, und an Jaki, seinen Vater und Menachems Sohn. Erst als sie einen Moment innehielt, weil sie fürchtete, ihm mit ihrem Kreuzverhör auf die Nerven zu gehen, wurde es still im Zimmer, und er räusperte sich und fragte leise: »Darf ich dich Großmutter nennen?«
Ihre Augen wurden nass, sie nickte rasch, um die Erregung, die in ihrer Kehle aufstieg, zu unterdrücken, der Junge sollte sie nicht hören.
Die ganzen Jahre war dort, bei Jaki, ein kleiner Menachem herangewachsen und sie hatte es nicht gewusst. Und auch Menachem hatte keine Ahnung gehabt. Was wäre gewesen, wenn er es gewusst hätte?
Er sagte, mit dem Kopf nickend, als würde er ein Kind zu den ersten Schritten ermuntern: »Vater hat uns sehr viel von dir erzählt.«
Erst da merkte sie, dass er Hebräisch sprach, und sie wunderte sich, dass sie keine Spur von Akzent hörte.
Überrascht fragte sie: »Wie hast du es geschafft, so gut Hebräisch zu lernen?« Seine Antwort erstaunte sie noch mehr.
»Was soll das heißen?«, sagte er. »Das ist doch meine Muttersprache.«
Er hatte Muttersprache gesagt, nicht Vatersprache. Sie antwortete nicht, senkte den Blick. Fast hätte sie die Existenz von der da vergessen. Sie behandelte ihn, als wäre er Menachem höchstpersönlich, und er brachte ihr Jakis die da ins Haus. Menachem hatte gesagt, kein Deutscher würde je dieses Haus betreten. Er war gegangen und sie war nicht stark genug. Dieser Junge hatte nur an ihre Tür klopfen müssen, und schon hatte sie ihn hereingelassen. Sie spürte Wut in sich aufsteigen, Wut auf diesen groß gewachsenen Jungen, der, als Menachem getarnt, in ihr Leben eingedrungen war. Sie hatte doch deutlich genug zu Avri gesagt, dass sie ihn nicht sehen wolle, und Avri hatte gesagt, er habe es an Jaki weitergegeben. Wie konnte er es also wagen? Sie war schon entschlossen, irgendetwas zu sagen, und musste nur noch überlegen, was. Sie schaute ihn an, um ihm das entgegenzuschleudern, was in ihr drängte, aber dann sah sie seine Freude, das Lächeln in seinen Augen, und schon lächelte sie zurück, sie konnte gar nicht anders, als ihm die Freundlichkeit zurückzugeben.
»Bei uns zu Hause spricht man Hebräisch«, sagte er. Wieder verblüfften sie seine Worte.
Wie hatten Menachem und sie glauben können, dass Jaki in Deutschland aufhören würde, Hebräisch zu sprechen? Menachem hatte einmal gesagt, ihre Kinder würden nie im Leben auf die hebräische Sprache verzichten. Damals hatten sie auch nicht geglaubt, dass einer ihrer Söhne in einem fremden Land leben könnte, vor allem nicht dort, in jenem Land. Wenn sie sich nicht so heftig gegen diese Frau gestellt hätten, wäre er vielleicht auch nicht so stur gewesen. War es möglich, dass er wegen Menachem von hier weggegangen war? Und wieso konnte seine Deutsche Hebräisch?
Als hätte er ihre Gedanken gelesen, sagte der junge Mann: »Meine Mutter hat lange hier gelebt. Als sie heirateten, haben sie beschlossen, zu Hause nur Hebräisch zu sprechen.«
Menachem hatte gesagt, kein Deutscher würde je dieses Haus betreten. Sie schaute sich den hübschen jungen Mann an, der ihr gegenübersaß, hörte die Stimme Menachems auf Hebräisch sprechen und bewegte den Kopf nach rechts und links, als wollte sie etwas verneinen. Ihre Lippen bewegten sich, ohne dass sie es merkte. »Er ist kein Deutscher!«
»Wie bitte?«, fragte er.
Sie erschrak. Sie hatte die Worte nicht laut sagen wollen. Er hatte sie offenbar nicht verstanden, und sie wiederholte nicht, was sie gesagt hatte.
»Nichts, nichts«, sagte sie und schwieg.
Wie hatte Jaki es geschafft, seine hebräische Sprache am Leben zu erhalten? Hatte er sie dazu gezwungen? Sie und Menachem hatten damals zwar beschlossen, nie wieder jene Sprache zu benutzen, und bevor sie Hebräisch gelernt hatten,
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