Schalom
hatten sie Jiddisch miteinander gesprochen, und als Avri ein Jahr alt wurde und anfing zu sprechen, konnten sie schon Hebräisch.
Bei Zila war es umgekehrt. Ihr »kluger« Mann war der Meinung, es sei für Kinder wichtig, eine Fremdsprache zu lernen, deshalb hatten sie, wie zum Trotz, jene Sprache weitergesprochen. Bis zu ihrem dritten Lebensjahr hatten die Kinder nur jene Sprache gesprochen, doch seit sie in den Kindergarten gingen, hatten sie sich geweigert, Deutsch zu sprechen, und alle Versuche Zilas und ihres Mannes liefen ins Leere. Sie sprachen die Kinder auf Deutsch an, diese antworteten auf Hebräisch, und auch das dauerte nicht lange. Eines Tages hatte Meir, der Älteste, verkündet, ab heute verstehe er kein Deutsch mehr und würde nicht antworten, wenn man ihn in dieser Sprache anredete. Zila hatte weinend erzählt, ihr Mann sei wütend geworden und habe das Kind geschlagen, doch das habe natürlich nicht geholfen. Meir antwortete nicht mehr, wenn sie Deutsch sprachen, und bald tat es der jüngere Sohn seinem Bruder nach.
Nechama und ihre Schwestern hatten als Kinder Jiddisch miteinander sprechen wollen, eine Geheimsprache, die die Kinder der Gojim nicht verstanden. Aber ihr Vater hatte es ihnen verboten, nur mit den Großeltern durften sie Jiddisch sprechen. Der Vater hatte nicht drohen müssen, ein Verbot von ihm war bedrohlich genug, er musste ihnen nicht erklären, was geschehen würde, wenn sie es übertraten. Er hatte es verboten und sie hatten gehorcht, ohne Wenn und Aber. Nur wenn sie außer Haus waren und wussten, dass ihr Vater im Geschäft war, hatten sie es gewagt, diese gemütliche Sprache aus der Schublade zu ziehen. in seiner Gegenwart hatten sie Jiddisch nur noch mit den Großeltern gesprochen.
»Ist was?«
Plötzlich sickerte die Stimme Menachems in ihr Bewusstsein, sie schüttelte den Kopf und lächelte den Jungen an, der wie Menachem aussah.
»Nein«, sagte sie schnell, »es ist nichts, ich war nur in Gedanken versunken.«
Er schaute sie an und erkundigte sich höflich, ob er eine Frage stellen dürfe, und als sie nickte, fragte er, ob sie ihm sagen wolle, worüber sie nachgedacht hatte.
Ihre eigenen Kinder und ihre anderen Enkel, Avris Kinder, hatten nie besonderes Interesse an ihrer Meinung und ihren Gedanken gezeigt. Ihre Fragen waren immer sachlich gewesen. Und dieser Junge hier, den sie erst wenige Minuten kannte, interessierte sich dafür, was sie dachte.
Sie lächelte, doch innerlich lachte sie laut.
»Was ist?«, fragte er.
Sie erzählte ihm von dem Verbot ihres Vaters und wie Zila und Helena und sie manchmal am Fluss spazieren gingen, nur um ein bisschen Jiddisch reden zu können. Der Junge, Jakis Sohn, hörte ihr aufmerksam zu und sog wie ein Durstender jedes ihrer Worte in sich ein. Als sie fertig war und er sie immer noch anstarrte, zögerte sie nicht mehr und fragte ihn, ob er gezwungen worden war, Hebräisch zu sprechen.
»Wieso gezwungen?«, sagte er. »Hebräisch ist ganz einfach die Sprache bei uns zu Hause.«
»Und die zweite Sprache?«, fragte sie, ohne sie zu benennen.
»Deutsch?«, fragte er. »Am Anfang war es die Sprache der Großeltern, und dann entdeckten wir natürlich, dass auch die anderen Leute sie sprachen, aber bei uns zu Hause und auch unter uns blieb es bei Hebräisch.«
Es ging ihr ganz einfach nicht in den Kopf, dass die Deutsche, die zu treffen sie nie bereit gewesen war und deretwegen Jaki Israel verlassen hatte, dort, in jenem Land, die ganzen Jahre Hebräisch sprach und dass sie und Jaki ihre Kinder hebräisch erzogen. Sie wollte ihn fragen, wie Jaki und die da sich unterhielten, tat es aber nicht. Er sollte nicht denken, dass sie sich für diese Frau interessierte.
»Du willst also sagen, dass sie sich entschlossen haben, zu Hause nur Hebräisch zu sprechen?«
»Ja«, sagte er. »Gleich als sie heirateten. Aber wir Kinder reden zu Hause manchmal auch deutsch.«
Der Junge lächelte sie an, er wollte noch etwas sagen, aber er kam über »Meine Mutter …« nicht hinaus. Und obwohl Nechama diese Frau nie getroffen hatte, meinte sie sie jetzt vor sich zu sehen, groß und schlank, mit blauen Augen, die streng durch einen versilberten Brillenrahmen blickten. Sie spürte, wie sie innerlich erstarrte.
»Erzähl mir nichts von ihr«, zischte sie und erschrak über ihre eigene Feindseligkeit.
Er hielt sofort inne und senkte den Blick, bevor die Worte verhallt waren, und ihr tat es schon wieder leid. Auch Menachem hatte manchmal plötzlich
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