Schalom
spürte, dass er sie beschützen musste.
Er überlegte, wie er von Jakis Sohn anfangen sollte, aber sie gab ihm keine Chance. Sie bat ihn an den Tisch, und bevor er etwas sagen konnte, stellte sie ihm einen Teller hin und begann, die Salate zu servieren, denen er nicht widerstehen konnte.
Erst als er schon aß, setzte sie sich zu ihm und erzählte, dass Zila sie gestern besucht hatte. Sie habe ihre Tochter in Galiläa besucht und habe die Gelegenheit benutzt, um auf dem Rückweg bei ihr vorbeizuschauen.
»Gil kommt nächste Woche nach Israel«, sagte er.
Sie verstand nicht gleich, wen er meinte, und er musste sie daran erinnern, dass Gil Jakis Sohn sei und dass er sie besuchen wolle.
»Aber ich habe dir doch gesagt, du sollst Jaki sagen, dass er nicht hierherkommen soll«, antwortete sie verwundert.
Ohne ihr in die Augen zu sehen, sagte Avri: »Stimmt, und ich habe es Jaki auch mitgeteilt, und ich bin sicher, dass er es Gil gesagt hat. Aber Gil ist kein Kind mehr, er ist achtzehn Jahre alt. Ich bin mir nicht sicher, ob er nicht plötzlich doch beschließt, dich zu besuchen.«
»Wenn ihr es ihm gesagt habt, dann wird er nicht kommen«, erwiderte sie. »Und außerdem möchte ich nichts über diesen Jungen hören.« Sie hatte leise gesprochen und fing nun an, das Geschirr abzuräumen. »Du hast gehört, was euer Vater gesagt hat, kein Deutscher, auch nicht ihre Kinder.«
»Aber Gil ist doch kein Deutscher. Er ist Jakis Sohn.«
»Du hast gehört, was dein Vater dazu zu sagen hatte, und ich möchte nicht darüber sprechen.«
Sie brachte schweigend das Geschirr zum Spülbecken, als wäre damit das Gespräch beendet. Auch nach seinem Tod gehorchte sie also dem Vater, wenn es um Dinge ging, die »dort« geschehen waren. Denn bei allem, was mit ihrem Leben hier zu tun hatte, mit Jaki und Avri, hatte der Vater nicht gewagt, etwas zu unternehmen, ohne sie vorher um Rat zu fragen. Und wenn Avri und Jaki ihren Vater früher um etwas gebeten hatten, hatte er sie immer zu ihr geschickt. »In diesen Dingen entscheidet eure Mutter!«
Avri wusste, dass es keinen Sinn hatte, weiter von Gils Besuch zu sprechen. Er beschloss, diese Angelegenheit später mit Jaki zu diskutieren. Er sollte dafür sorgen, dass Gil auf diesen Besuch verzichtete.
6
Schon wieder läutete es an der Eingangstür. Was war heute Morgen los? Es läutete schon zum dritten Mal.
Einer hatte eine Umfrage gemacht, weiß der Teufel, worüber und für wen, und hatte erst aufgegeben, als sie irgendwann angefangen hatte zu schimpfen. Der zweite war ein Vertreter und wollte ihr eine Kinderenzyklopädie zeigen, und als sie log und behauptete, sie habe keine Enkelkinder, entschuldigte er sich und ging, und ihr tat es leid, dass sie ihm nicht einmal ein Glas kaltes Wasser angeboten hatte.
Jetzt, beim dritten Läuten, ging sie zur Tür, sie schaute durch das Guckloch und sah zunächst nur einen Hals, aber der Besucher ahnte wohl, dass sie ihn durch das Guckloch betrachtete und zeigte ihr sein Gesicht. Obwohl die Linse des Gucklochs die Sicht verzerrte, spürte sie sofort, dass sie von diesem freundlichen Gesicht, das ihr irgendwie bekannt vorkam, nichts zu befürchten hatte. Und obwohl sie wusste, dass auch Verbrecher sympathische Gesichter haben können, griff sie nach dem Schloss. Als sie die Tür einen Spaltbreit öffnete, sah sie zuerst nur, wie groß er war, trotzdem wirkte er in seiner sauberen und ordentlichen Kleidung irgendwie naiv. Von seinem Gesicht sah sie nur das strahlende Lächeln. Als sie die Sicherheitskette ausgeklinkt hatte und ihm die Tür öffnete, dachte sie, eigentlich hätte sie ihn erst fragen müssen, was er wollte, doch da war die Tür schon offen und er sagte:
»Schalom, ich bin Gil.« Das Lächeln auf seinem Gesicht wurde noch breiter.
Sie schaffte es nicht, sich zu beherrschen, spürte aber genau, dass sie automatisch zurücklächelte, und obwohl ihr die Stimme bekannt vorkam, sagte sie aus irgendeinem Grund: »Das ist sehr schön, dass du Gil bist, und was möchtest du von mir, Gil?«
»Ich bin dein Enkel«, sagte er. »Gil, Jakis Sohn.«
Noch bevor er zu Ende gesprochen hatte, meinte sie Menachems Stimme zu hören, eine Stimme, die von weit her kam und sagte: »Hob nischt kejn mojre, ich bin a jid.« 10 Sie lag wieder auf dem feuchten Waldboden und spürte nur Schmerz und Angst. Danach waren einige Schüsse zu hören und sie schreckte zusammen, machte aber die Augen nicht auf. Der Schmerz, die Angst, der Dreck und der Gestank
Weitere Kostenlose Bücher