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Schalom

Titel: Schalom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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verschwand. Was war nur mit ihm los gewesen, dass er ihr bei einem belanglosen Treppenhausgespräch plötzlich sein Herz ausgeschüttet hatte?
    Das Treppenhaus war still und dunkel. Er stellte die Flaschen ab, bewegte seine Finger, machte das Licht an, hob die Tüten wieder hoch und begann, die Stufen hinaufzusteigen. Er hoffte, dieser anstrengenden Frau nicht wieder zu begegnen, und tatsächlich war außer dem Schlurfen seiner Füße auf den Stufen und Fernsehgeräuschen aus der Wohnung im Erdgeschoss nichts zu hören, bis er den ersten Treppenabsatz erreichte. Da hörte er, dass der Schlüssel in ihrer Tür umgedreht wurde.
    Es war ihm klar, dass er den zweiten Stock nicht schnell genug erreichen konnte, wenn sie gleich die Tür öffnen würde. Andererseits konnte er jetzt auch nicht mehr zurückgehen, denn dann würde sie ihm unten begegnen. Es blieb ihm also nichts übrig, als seinen Weg möglichst schnell fortzusetzen. Er ignorierte das Einschneiden der Tragegriffe in seinen Händen und bemühte sich, so schnell wie möglich an ihr vorbeizugehen. Er nahm sich vor, auch wenn sie ihn ansprechen sollte, ihr nur kurz zuzunicken. Da ging plötzlich ihre Tür auf. Er hatte nicht genug Zeit, sich zu fangen und weiterzugehen, als er ihr entgeistertes Gesicht sah, ihre erschrockenen Augen. Er erstarrte.
    Ebenso plötzlich, wie ihre Tür aufgegangen war, wurde sie jetzt wieder zugeschlagen. Er blieb stehen, verlegen und erschrocken, und bewegte sich nicht, bis das Licht im Treppenhaus ausging.

21
    Oh weh. Wieder dieser Teufel. Was suchte er dauernd vor ihrer Tür? Seit sie heute Morgen sein Gesicht gesehen hatte, hatte sie die Wohnung nicht verlassen. Schon gut, es war nicht besonders fein, ihn Teufel zu nennen, und es lag auch nicht an ihm, dass sie die Wohnung nicht verlassen hatte. Aber trotzdem – warum von allen Menschen der Welt musste er es sein, den sie als Erstes getroffen und der ihr jene »frohe« Botschaft überbracht hatte? Somit war er nun der Letzte, den sie sehen wollte. War es nicht doch ein Werk des Teufels, dass diese Fratze vor ihr auftauchte, wenn sie ihre Wohnung verlassen wollte? Ihr Herz klopfte heftig, sie lehnte sich an die Tür, die sie vor ihm zugeknallt hatte. Was war das für eine Schwere in ihrer Brust? Sie richtete sich auf und füllte ihre Lungen mit Luft, spürte, wie der Druck in der Brust langsam nachließ.
    Lange stand sie so da, an die Tür gelehnt, und atmete tief, bis sie sich gefangen hatte und ihre Beine nicht mehr nachgaben. Sie drehte sich um und schaute durch das Guckloch. Sie hatte zwar nicht gehört, wie er weiter hochgegangen war, aber draußen war niemand mehr zu sehen.
    Sie musste hinuntergehen, um bei Gottesmann Milch zu kaufen.
    Für sich selbst hätte sie vielleicht darauf verzichtet und wäre zu Hause geblieben, aber Avri hatte gesagt, er würde kommen, bestimmt war es dann ziemlich spät, er war ja erst heute Morgen aus Eilat losgefahren. Vermutlich machte er noch einen Umweg über die Polizeistation und vielleicht fuhr er sogar zu diesem Leichenschauhaus in Abu Kabir. Wie dem auch sei, wenn sie jetzt nicht hinunterging, würde Gottesmann den Laden schließen, und sie würde für Avris Kaffee keine Milch haben. Und wie viele Gelegenheiten hatte sie noch, ihm Kaffee und Kuchen zu servieren, so wie er es mochte? Hoffentlich brachte er keine schlechten Nachrichten! Der alte Professor Salzbad reichte ihr für heute. Sein Name passte zu ihm. Er war geboren, um Salz auf die Wunden anderer Menschen zu streuen. All seine Versuche, seine satanische Natur hinter Titeln und erfundenen Namen zu verstecken, würden ihm nicht helfen. Wer sagte denn, dass ein Professor kein böser Mensch sein konnte? Und wieso bestand er darauf, »Professor Sad« genannt zu werden, glaubte er, man würde dann nicht merken, was für ein schlechter Mensch er war? Sie war sich dessen sicher, obwohl Menachem immer gesagt hatte, sie solle mit solchem Gerede aufhören, schließlich wüssten sie nichts von ihm.
    Wenn Menachem ihn nicht für einen bösen Menschen hielt, wie erklärte er es sich dann, dass der Anblick des Mannes im Treppenhaus sie immer so erschreckte? Und wo war Menachem jetzt? Er konnte doch sehen, wie schwer sie es hatte, warum kam er ihr nicht zu Hilfe? Prüfte er sie, weil sie Jakis Sohn aufgenommen hatte? Was dachte er, wer er war, Gott?
    Vorsichtig drückte sie den Türgriff nach unten, öffnete die Tür einen schmalen Spalt, ohne die Sicherheitskette zu entfernen, und spähte

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