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Schalom

Titel: Schalom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Kaffeetheke hörte man Stimmen. Außer diesen Gästen und den Angestellten war kein Mensch zu sehen.
    Er kaufte sich eine Flasche Wasser für unterwegs und bestellte einen doppelten Espresso. Es war nicht schwer, einen entlegenen Tisch zu finden, von dem aus er ungestört mit Jaki reden könnte. Er machte es sich bequem, trank einen Schluck und spürte die warme Bitterkeit. Als er das Handy aus der Tasche holte, vibrierte es plötzlich in seiner Hand und ein Schauer lief ihm über den Rücken. Er erkannte die Nummer auf dem Display nicht und nahm an, es sei die Polizei, nur die konnte ihn jetzt anrufen. Vermutlich hatten sie irgendetwas herausgefunden. Eine Frau fragte ihn, ob er Avri sei.
    »Ja«, sagte er, »ja, am Apparat!« Er stützte den Kopf auf die Hand. Wenn sie bloß nicht sagten, der verbrannte Mann sei Gil.
    Obwohl sie mit einem starken Akzent sprach, begriff er erst, mit wem er sprach, als sie sagte: »Hier ist Anna, Jakis Frau.«
    »Aber wie kann das sein?«, fragte er verblüfft. »Ich habe eure Nummer doch noch gar nicht gewählt. Ich habe gerade das Telefon aus der Tasche genommen, um euch anrufen, und da bist du plötzlich in der Leitung.«

23
    Jaki hörte, wie Anna sagte: »Avri, hier ist Anna, Jakis Frau.«
    Hatte Avri ihre Stimme wirklich nicht erkannt, oder wollte er Zeit gewinnen, bevor er ihnen die bittere Botschaft übermittelte?
    »Ja?«, fragte sie. »Und was wolltest du uns sagen?«
    Jaki wollte während des Gesprächs nicht neben ihr stehen bleiben. Er ging zum Balkonfenster und schaute auf das dunkle Grün der Tannen im Garten der Schuhmachers. Er suchte nach Eichhörnchen, konnte aber keine entdecken.
    »Das ist völlig in Ordnung, Avri«, sagte Anna. Jaki spürte, dass sie sich ihm von hinten näherte. An ihrer Stimme merkte er, dass Avri zwar noch keine Entwarnung gab, aber Anna hörte sich weniger verängstigt an. Hätte er, Gott behüte, ihr mitgeteilt, dass Gil verletzt war, hätte Anna das Gespräch nicht in diesem Ton fortgesetzt.
    Jaki wurde ruhiger, er wartete vor dem geschlossenen Fenster auf eine Bewegung im Garten, er drehte sich nicht zu Anna um, um sich zu erkundigen, was Avri gesagt hatte. Er wusste, dass sie noch telefonierte, und bedankte sich in Gedanken bei ihr, dass sie das Gespräch mit Avri übernommen hatte. Die Berührung ihrer Hand auf seiner Schulter war ihm sehr angenehm. Und als sie sich an seinen Rücken schmiegte, spürte er, wie weich sie war.
    »Du kümmerst dich also darum, dass wir irgendwo schlafen können«, sagte sie jetzt, »für alles andere sorge ich.« Und kurz darauf fügte sie hinzu: »Natürlich nicht bei ihr. Die Sorge um Gil ist schon zu viel für sie, sie braucht uns nicht auch noch. Oder genauer gesagt, sie braucht mich nicht auch noch.«
    Die Jahre der Entfremdung und der Hass seiner Mutter hatten Annas Respekt ihr gegenüber keinen Abbruch getan.
    Jaki erzählte seinen Kindern gern von früher, von seiner eigenen Kindheit, von Avri und von den Eltern, aber als Gil einmal gefragt hatte, ob sie schon tot seien, hatte Jaki die Tränen nicht zurückhalten können, und Anna war ihm zu Hilfe gekommen. Wie konnte ein Kind begreifen, dass seine Großeltern es nicht kennenlernen wollen? Aber Anna erklärte es ihnen geduldig, warf ab und zu einen besorgten Blick zu ihm, und er hörte schweigend zu und sagte nichts. Nur als Gil fragte, ob es stimme, was die Mutter erzählt hatte, nickte er, ließ sich aber nicht anmerken, welcher Aufruhr in ihm tobte.
    In den letzten Jahren hatten diese Stürme nachgelassen. Die Kinder fragten nicht mehr so oft. Wenn jetzt jemand seine Eltern erwähnte, regte Jaki sich nicht mehr so auf. Und dann war plötzlich Gil auf die Idee gekommen, seinen Zivildienst in Israel zu absolvieren.
    Anna hatte ihn bei diesem Wunsch sehr unterstützt. Sogar jetzt, auf dem Gipfel der Verzweifelung, nahm sie weiterhin Rücksicht auf seine Mutter. Er hätte sich gewünscht, sie so zu sehen, wie Anna sie sah.
    Obwohl er genau verstanden hatte, worüber Anna und Avri gesprochen hatten, hatte er ihr schweigend zugehört. Und nachdem sie aufgelegt hatte, genoss er ihre warmen Hände, die seinen Nacken und seine Schultern massierten.
    »Sag bei der Arbeit Bescheid, dass du heute nicht kommen kannst, den Rest erledige ich«, sagte sie. »In der Zwischenzeit ruh dich ein bisschen aus.«
    Er nickte dankbar, dass er sein Schicksal in ihre Hände legen konnte, und lächelte sie an. Wie schön sie war, wenn sie ihn umsorgte. Er liebte auch die

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