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Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska

Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska

Titel: Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina André
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des Bruders verpflichtet gefühlt, ihm zu Willen zu sein.
    Kein Wunder, dass der alte Wassiljoff daraufhin durchgedreht hatte und zur Baracke der Wissenschaftler marschiert war, wo er Leonard unglücklicherweise allein vorgefunden hatte.
    Nun saß Wassiljoff splitternackt im Verlies, einem winzigen Gefängnis ohne Fenster, in das man gewöhnlich entflohene Häftlinge sperrte, |233| um sie zu läutern. Ein erwachsener Mann konnte darin nur halb im Sitzen Platz finden. Verschlossen mit einer Eisentür wirkte das Verlies auf den Delinquenten wie ein steinernes Grab, aus dem es kein Entrinnen gab. Einmal am Tag öffnete sich ein Guckloch in der eisernen Tür, und ein Wärter reichte einen Napf mit Hafergrütze hinein. Es stank fürchterlich, weil der Gefangene während der ganzen Zeit in seinen eigenen Exkrementen saß. Länger als drei Tage hielt es kaum jemand darin aus, ohne den Verstand zu verlieren.
    Wassiljoff hatte vielleicht nie einen Verstand besessen, oder vielleicht war er im Lager abhandengekommen. Anders war es nicht zu erklären, dass er Leonard Schenkendorff beinahe totgeschlagen hatte und ihn dabei selbst der Warnschuss der Wächter nicht hatte aufhalten können. Wie ein tollwütiger Hund war er anschließend durch das Lager gerannt und hatte auf alles eingeschlagen, was sich bewegte.
    Erst ein gezielter Schuss in den Oberschenkel hatte ihn gestoppt. Sein Blick war wahnsinnig geblieben, und so wusste wohl niemand, was man anderes mit ihm anstellen sollte, als ihn in jene Arrestzelle für schwierige Fälle zu stecken. Dabei brüllte er immer noch wie ein Stier, und manchmal war seine Stimme bis zu den Wohnbaracken zu hören.
    Pjotr hatte es auch gehört. Ein Schauer jagte ihm über den Rücken. Die Frage, was man mit Wassiljoff letztendlich anstellen würde, erübrigte sich. Deportiert war er schon, und nachdem er sich nun zum zweiten Mal aus niederen Gründen an einem Menschen vergriffen hatte, würde man bei der Lagerleitung zu dem Schluss kommen, dass er nichts anderes als den Tod verdient hatte. Fern von jeder Gerichtsbarkeit entschied einzig Kommandeur Lobow über das Schicksal der Häftlinge. In den fünf Monaten, in denen sie hier waren, hatte man bereits einen Mann aus einem weniger triftigen Grund hingerichtet. Alle Häftlinge hatten draußen antreten müssen, und eine Schwadron von Soldaten hatte sich aufgestellt, um einen etwa dreißigjährigen Mann, der in das Büro des Kommandeurs eingebrochen war, durch Erschießen vom Leben zum Tod zu befördern.
    Pjotr hatte der Anblick des sterbenden Mannes, der kurz zuvor noch alles hatte unter sich gehen lassen, unzählige schlaflose Nächte bereitet. Vor allem Leonard hatte ihm anschließend in langen, geduldigen Gesprächen geholfen, dieses furchtbare Erlebnis zu überwinden.
    |234| »Aslan, kannst du einen Augenblick auf mich warten?« Pjotr war bei einer Weggabelung stehen geblieben. Kissanka musste in eine andere Richtung gehen, und er wollte sie nicht ziehen lassen, ohne sich von ihr zu verabschieden. Der Turkmene drehte sich um, die Hände in den Hosentaschen, und sah ihn finster an. Auch Kissanka war stehen geblieben, wobei sie den Blick des Turkmenen mied.
    »Was haltet ihr davon«, begann Pjotr mit bebender Stimme, »wenn wir versuchen, den jungen Jämschtschik zu erreichen, der uns hierher gebracht hat. Wie hieß er noch gleich? Tschirin?«
    »Ist das der Mann, dessen Vater Mitja gerettet hat?« Kissankas Augen leuchteten auf.
    »Du willst doch nicht ernsthaft einen Schamanen hinzuziehen, um Leonard zu heilen?« Aslan sah ihn ungläubig an.
    »Warum denn nicht?« Pjotr sah ihn kampflustig an. »Wenn wir sonst schon nichts für Leonard tun können? Ich meine, was könnte ein Schamane da noch kaputt machen? Leonard ist ohnehin dem Leben näher als dem Tod.«
    »Das wird Lobow nicht erlauben«, unkte Aslan wie gewohnt.
    »Warum denn nicht?« Kissanka sah Pjotr hoffnungsvoll an. »Das ist eine wunderbare Idee. Ihr habt doch alle gesehen, wie es um meinen Bruder stand. Dass er noch lebt, haben wir alleine Tschirins Vater zu verdanken.«
    »Ich gehe selbst zu Lobow und werde ihn darum bitten«, meinte Pjotr kühn.
    »Zur Sicherheit nimmst du besser noch Weinberg mit.« Dass dieser Vorschlag ausgerechnet von Aslan kam, wunderte Pjotr. Der alte Jude und der Turkmene respektierten sich mittlerweile, aber Freundschaft konnte man ihre Verbindung nicht nennen.
    Mit dem heiligen Versprechen, Kissanka sofort zu benachrichtigen, falls Lobow der Idee

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