Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska
ihren Sessel fallen ließ. »Und was das Tagebuch betrifft: Ich habe es niemals zuvor gesehen. Ich wusste ja noch nicht einmal, wer es unter dem Bett vergraben hat. Wie sollte ich wissen, auf welche Weise es Sergej Bashtiri abhanden gekommen sein könnte? Oder, Taichin, was sagst du dazu?«
Sie warf dem alten Mann einen auffordernden Blick zu. Nur langsam drehte er den Kopf in Pokrovskijs Richtung und schwieg. Die ganze Zeit über hatte er mit gesenkten Lidern neben seiner Schwester gesessen und nichts gesagt. Augenscheinlich war er schwerhörig und zeigte leichte Anflüge von Altersdemenz.
Genau das war der Grund, warum Pokrovskij darauf verzichtete, den beiden ein Serum zu verabreichen, das die vermeintliche Wahrheit ans Licht brachte. Sie waren zu alt und erinnerten ihn zu sehr an seine eigenen, senilen Großeltern, als dass er ihre Gesundheit aufs Spiel setzen wollte. Also bestellte er sie erneut für den nächsten Morgen ein. Bis dahin hatte die Verwaltung der wissenschaftlich-technischen Sicherstellung, die der Leitung des FSB direkt unterstellt war, die Auswertung der Kopie des Tagebuchs versprochen, und das 7. Department würde den Bericht über den Bunker am Chekosee liefern. Ob die beiden Alten dazu etwas beisteuern konnten, blieb fraglich. Jedoch würde man der Einschätzung der Angelegenheit insgesamt ein ganzes Stück näher kommen, und vor allem zeichnete sich ab, dass Aldanov in jedem Fall lebend gefasst werden musste, um herauszufinden, welche |460| Fähigkeiten er in Wahrheit besaß. Bisher hatte sich die Spur des Mannes und seiner Begleiterin verloren. Und doch waren Pokrovskij und seine Kollegen davon überzeugt, dass zumindest die Deutsche spätestens morgen früh in Moskau eintreffen würde – mit oder ohne Aldanov. Bis dahin wurden die Bahnhöfe und auch die Flughäfen rund um die Uhr observiert. Mittlerweile war die gesamte Moskauer Metro mit Überwachungskameras ausgestattet, deren Aufnahmen in die nächstgelegene Polizeistation überspielt wurden. Niemand konnte diesem elektronischen Spürhund entwischen. Zudem hatte man Aldanovs und Vanderbergs biometrische Daten längst ins System eingespeist.
Bashtiri stieß einen leisen Fluch aus, als Fjodor ihn ausgerechnet bei seiner nachmittäglichen Entspannungsmassage störte. Mit einem Mobiltelefon in der Hand betrat der ganz in Schwarz gekleidete Bodyguard den luxuriösen Wellnessbereich im Penthouse seines Chefs. In diesem Traum in Gold und weißem Marmor herrschte gedämpftes Licht. Es duftete nach Moschus und Ambra, eine leise tantrische Musik erfüllte den Raum. Die Luxusliege, auf der Bashtiri seitlich gebettet und vollkommen nackt zur Ruhe gefunden hatte, war mit weißem Hermelin überzogen. Zwei spärlich verhüllte Damen, in skurrilen Krankenschwesternkostümen, mit kurzem Rock und viel zu groß geratenem Ausschnitt, kümmerten sich nicht nur um seine verspannte Nackenmuskulatur. Während die dralle Blondine mit flinken Fingern sein bestes Stück massierte, liebkoste eine schlanke Schwarzhaarige seine muskulöse Hinterseite. Leider waren die vermeintlichen Schwestern nicht in der Lage, den Gips an Bashtiris rechter Hand zu erneuern, dessen kratzendes Futteral ihn seit geraumer Zeit unangenehm zwickte.
»Was gibt’s?« raunte der Oligarch ungehalten, als er die ungebetene Störung bemerkte. »Habt ihr sie erwischt?«
Fjodor verzog das Gesicht zu einer entschuldigenden Miene. »Leider nicht. Aldanov und seine Begleiterin konnten entkommen. Nachdem Jurij den Ewenken im Bahnhof gestellt hatte, wurden seine Bemühungen von einer Polizeistreife gestört. Aldanov hat die Gelegenheit zur Flucht genutzt. Danach konnten Jurij und Mischa ihn und die Deutsche nicht mehr aufspüren.«
|461| »Wofür bezahle ich euch eigentlich?«, stöhnte Bashtiri. »Sag den beiden Holzköpfen, sie sollen sich aus dem üblichen Kontingent für besondere Aufgaben bedienen und sämtliche Bahnhöfe mit Observationskräften besetzen. Und Watzek soll sich um die Überwachungskameras kümmern. Er gehört schließlich zu den Cleversten, die es in der IT-Branche in Moskau gibt. Sag ihm, ab morgen Mittag zwölf Uhr benötigen wir einen Ausfall in der Metro.«
»Wird gemacht, Chef.« Fjodor wandte sich zum Gehen, während Bashtiri einen wohligen Seufzer von sich gab.
»Und übrigens«, rief er Fjodor noch hinterher. »Sag ihnen, dass ich ihnen die Eier abschneiden und in Aspik einlegen lasse, wenn sie ihre Sache nicht auftragsgemäß erledigen.«
Die Rettung
Weitere Kostenlose Bücher