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Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska

Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska

Titel: Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina André
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zurück. Kissanka beugte sich schluchzend über den Jungen. Ihr war offensichtlich nichts geschehen; ein paar Kratzer und eine Beule an der Stirn waren alles, was Leonard entdecken konnte. Noch hatte sie wohl nicht gesehen, dass ihre Mutter zu Tode gekommen war.
    »Was tust du da?« Der Blick, den sie Leonard zuwarf, erschien ihm vorwurfsvoll, ja sogar anklagend.
    »Ich versuche sein Leben zu retten«, erwiderte er mit erstickter Stimme. Unbeabsichtigt schaute er zu Kissankas Mutter hin, deren Gesicht er mit einem Schal bedeckt hatte. Erschrocken folgte Kissanka seinem Blick.
    »Mutter?« Auf Knien rutschte sie zu der toten Frau hin und zog den Schal vom Gesicht. Dann brach sie hemmungslos weinend über ihr zusammen.
    Leonard hatte das Gefühl, sich teilen zu müssen. Kissanka brauchte ihn jetzt, aber auch der Junge war auf seine Hilfe angewiesen.
    Pjotr kniete sprachlos neben ihm. »Press deine Hand weiter auf den Verband!«, befahl ihm Leonard. Dann fiel sein Blick auf Aslan, der hinter Pjotr hockte und die ganze Szenerie mit steinerner Miene verfolgte.
    Leonard holte ihn mit lauter Stimme aus seiner Erstarrung. »Ihr müsst den Kleinen zu unserem Schlitten bringen, damit er es warm hat!«
    Subbota, der sich aufgerichtet hatte, um die Lage zu sondieren, widersprach nicht, als Aslan und Pjotr sich anschickten, Leonards Anweisungen zu befolgen.
    Mit klopfendem Herzen wandte sich Leonard dem Mädchen zu. Zaghaft fasste er sie bei der Schulter.
    »Sie hat nichts davon gespürt«, sagte er leise, obwohl er wusste, dass seine Worte ihr kaum Trost spenden würden.
    Mit verweintem Gesicht richtete Kissanka sich auf. Ein beißender Wind ließ die Tränen auf ihren Wangen im Nu zu feinem Eis gefrieren. Leonard wusste, wie gefährlich das sein konnte. Schützend nahm er sie in den Arm und trocknete ihr Gesicht.
    Weiter unten fand Aslan, der sich von neuem auf die Suche nach Überlebenden gemacht hatte, ihren Vater. Ivan Ivanowitsch Wassiljoff hatte den Aufprall gegen einen morschen Baumstamm offenbar einigermaßen |115| schadlos überstanden. Eine Prellung an der Stirn und ein gebrochenes Nasenbein waren alles, worüber er klagte. Leonard fragte sich ängstlich, wie er dem vierschrötigen Mann den Tod der Ehefrau beibringen sollte.
    Der Blick des Alten schien gefasst, als er es erfuhr, doch seine bebenden Lippen verrieten, wie aufgewühlt er war. Nadja, Kissankas jüngere Schwester, hockte ein Stück entfernt auf einer brettharten Schneewehe, sie hatte den Unfall mit ein paar blauen Flecken überstanden. Der Tod ihrer Mutter hatte ihr die Sprache verschlagen und gleichzeitig die Kraft zum Weinen genommen.
    Sieben Leichen und zehn Verletzte. Und eine weitere Katastrophe bahnte sich an, weil fünf der acht Schlitten beschädigt waren und man drei Pferden wegen ihrer schweren Bisswunden den Gnadenschuss versetzte.
    Gewehrläufe donnerten, und mit dem Gestank von Schwefel und Pulver brach die Nacht herein. Die Temperatur sank weiter. Der nächste Ort war mindestens vier Stunden entfernt. Wenn kein Wunder geschah, drohten die Überlebenden dieser Katastrophe zu erfrieren.
    »Die Leichen bleiben in jedem Fall hier«, beschloss der Kosakenführer mit einem grimmigen Zucken seines völlig vereisten Schnurrbartes.
    »Ich werde meine Frau nicht den Wölfen überlassen!« Die Stimme des alten Wassiljoff klang brüchig, aber fest. Auge in Auge stand er dem Kommandeur gegenüber.
    »Deine Frau ist in wenigen Stunden nicht mehr als ein gefrorener Brocken Fleisch«, höhnte der Offizier. »Denkst du ernsthaft, ich würde wegen ihr auch nur einen Überlebenden im Stich lassen?«
    Er kaute auf irgendetwas und spuckte es dann in den Schnee. »Schau dich doch um! Wir sind einundzwanzig Leute und haben nur noch drei Schlitten zur Verfügung. Kannst du rechnen? Selbst wenn wir vor jeden Schlitten drei Pferde spannen, wird es eine Tortur für Mensch und Tier, bis wir Nasimowsk erreicht haben.«
    »Dann will ich wenigstens, dass wir sie im Schnee beerdigen!«
    »Wlas!«, schrie der Kommandeur über ein paar seiner Männer hinweg zu einem der Jämschtschiks. »Bring uns zwei Schaufeln und hilf diesem Kerl, seine Frau zu begraben.«
    |116| Kissanka zitterte am ganzen Leib, nachdem sie sich ein letztes Mal von ihrer toten Mutter verabschiedet und Leonard sie zu seinem Schlitten geleitet hatte. Pjotr saß dort, eng an den bewusstlosen Jungen gekauert, damit er es warm hatte.
    »Er ist ganz heiß und stöhnt dauernd.« Hilflos strich er dem kleinen Kerl

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