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Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska

Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska

Titel: Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina André
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junge Tunguse Leonard auf, Mitja auf ein Bärenfell in der Nähe des Feuers zu legen. Der Junge war immer noch nicht zu Bewusstsein gekommen.
    »Was hat das zu bedeuten?« Kissanka drängte sich an Leonards Schulter und sah ihn fragend an.
    Er spürte ihre Wärme und ihre kleine Hand, die schutzsuchend in seiner Armbeuge ruhte. Ihr Vater beäugte sie argwöhnisch, doch er war wohl zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um sie von Leonard fortzureißen.
    Tschirin verschwand für einen Moment nach draußen. Wenig später kam er wieder herein, gefolgt von einem kleinwüchsigen, ganz in Fell gekleideten Tungusen. Er war der Helfer des angekündigten Schamanen und trug eine bunte Schale, aus der er mit einem Fuchsschwanz Figuren, die am Zeltrand verteilt standen, mit Rentierblut bespritzte.
    »Frag mich nicht, was das zu bedeuten hat«, erwiderte Leonard leise. Ihm waren schon beim Eintritt ins Zelt die vielen seltsamen tier- und menschenähnlichen Figuren aufgefallen, die man überall am Saum des Zeltes aufgestellt hatte. Gefertigt waren sie aus Elfenbein, Holz und Rhinozeroshorn, wie ihm Tschirin leise erklärte.
    Gleich zu Beginn des Rituals belehrte der Stammesälteste sie höflich, dass die Figuren nicht berührt werden durften. Vielleicht waren es die Figuren von Heiligen, dachte sich Leonard, wie bei ihnen zu Hause in den orthodoxen Kirchen.
    Wieder schaute er auf das Mädchen herab – auf ihre rotbraunen Haare, das schmale Gesicht mit den dunklen Augen, die all das Leid widerspiegelten, das ihr in den vergangenen 24 Stunden widerfahren war. Alles wird gut, lag ihm auf den Lippen. Doch das wurde es nicht, |119| ganz gleich, was geschah. Ihre Mutter war tot, und der Weg, auf dem sie zueinander gefunden hatten, führte in eine kalte unwirtliche Hölle.
    Statt ein Wort zu sagen, streichelte er ihre Hand und drückte sie sanft.
    Nachdem sich alle Anwesenden niedergesetzt hatten, reichte der Stammesälteste, ein Mann mit einem sonnengegerbten Gesicht, reihum eine Schale mit einem Gebräu aus gegorener Rentiermilch. Dazu verteilte ein junges Mädchen geröstetes Fladenbrot mit angewärmter Butter an die Gäste, die diese Gabe trotz ihrer Verwirrung mit Dankbarkeit entgegennahmen.
    Über einem Spieß brutzelte Fleisch. Man hatte ein Rentier geschlachtet, und erst jetzt bemerkte Leonard, wie sehr ihm der Magen knurrte. Doch statt das Fleisch zu verteilen, wurde der Spieß zur Seite gestellt, und eine der anwesenden Frauen legte ein paar harzige Wurzeln der Lärche in die schimmernde Glut.
    Leonard und Kissanka hatten sich nicht weit von dem Jungen niedergelassen und starrten wie die meisten Anwesenden erschöpft in die tänzelnden Flammen, die einzige Lichtquelle des Raumes. Eine weitere Frau, die in mehrere Lagen bunter Gewänder gekleidet war, trat hinzu und kniete neben Mitja nieder.
    »Er braucht warmes Wasser«, sagte Kissanka, »damit wir ihm etwas zu trinken geben können, wenn er zu sich kommt.«
    Die Frau überhörte die Worte des Mädchens, oder vielleicht hatte sie nicht verstanden. Kissankas Schwester saß unweit entfernt zusammengekauert neben ihrem Vater. Der alte Wassiljoff hockte schweigend da und beobachtete argwöhnisch, was in der Mitte des Zeltes geschah.
    Als die Frau begann, den Jungen zu entkleiden, erwachte der Vater aus seiner Lethargie. Sein Gesicht lief rot an, und seine wasserblauen Augen quollen leicht hervor, als er sich aufrichtete. »Was macht ihr mit meinem Kind?«, rief er. »Wollt ihr es umbringen?«
    Die Frau sah verstört auf, während der Schmied zu ihr hinstürmte, um sie davon abzuhalten, dass sie Mitja die Hose auszog. Leonard ging, ohne groß nachzudenken, dazwischen und hielt den Alten an seiner Joppe zurück.
    »Ich glaube, sie will ihm nur helfen. Wenn Sie keine bessere Idee haben, wie wir den Jungen ins Leben zurückholen können, sollten Sie die Frau gewähren lassen!«
    |120| »Was verstehst du schon!«, erwiderte der Russe aufgebracht. »Oder bist du ein Doktor, der mit den Bolschewiki gemeinsame Sache gemacht hat?«
    Kissanka kam Leonard zur Hilfe. »Vater, bitte lasst sie gewähren. Wir haben sonst nichts, was Mitja noch helfen könnte.« Sie stand hinter Leonard, als ob sie Schutz vor ihrem jähzornigen Vater suchte.
    Der Alte starrte seine Tochter an. »Nimm dich in Acht!«, zischte er zornig. »Wenn ich dich mit einem Kerl wie dem da erwische, seid ihr beide tot. Nur deiner Mutter zuliebe, Gott hab sie selig, halte ich mich zurück.« Mit einem abfälligen Blick auf

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