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Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska

Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska

Titel: Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina André
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Leonard setzte er sich nieder. Die Kosaken grinsten gehässig und schlugen dem Alten anerkennend auf die Schulter, als er sich wieder zu ihnen gesellte.
    Ungerührt hatte die Tungusin damit begonnen, den Verband des Jungen abzuwickeln.
    »Was tut sie da?«, flüsterte Pjotr. »Der Junge hat die Schwindsucht, und zwar im fortgeschrittenen Stadium. Wenn er kalt wird und sich die Grippe holt, ist ihm schon gar nicht mehr zu helfen.«
    Aslan, der mit angewinkelten Knien neben Leonard saß, schaute mit stoischer Miene zu ihm auf. »Sie wird den kleinen Kerl umbringen. Wenn die Blutung aufbricht, hat er es ohnehin überstanden.«
    Leonard war stehen geblieben, um sicherzugehen, dass der Schmied keinen weiteren Ärger machte. Zögernd setzte er sich zwischen Pjotr und Kissanka und verfolgte, was die tungusische Frau tat.
    »Ich weiß nicht, was sie vorhat«, flüsterte er, »aber es sieht aus, als wüsste sie, was zu tun ist.«
    Währenddessen ging der Stammesälteste herum und sammelte das Geschirr ein. Dann bat er seine Gäste, sich noch weiter zum Rand des Zeltes zurückzuziehen und den Platz um das Feuer frei zu machen.
    Angespannte Stille machte sich breit. Mitja lag immer noch bewusstlos auf einem Rentierfell, nur noch mit seinem verschmutzten Leibchen bekleidet. Kissanka kniete neben Leonard und hielt die Hände zum Gebet gefaltet. Unaufhörlich murmelte sie vor sich hin.
    »Heilige Mutter …« Mehr konnte Leonard nicht verstehen, der Rest war nur ein raues, verzweifeltes Flüstern.
    Der Stammesälteste legte weiteres Holz auf und etwas, das die Flamme kurzfristig zum Sprühen brachte. Plötzlich öffnete sich der |121| Vorhang zum Innern des Zeltes. Ein großer, schlanker Mann in einem seltsamen Kostüm glitt lautlos herein.
    Es war ein Schamane, soviel wusste selbst Leonard, obwohl er einen solchen Menschen noch nie zuvor gesehen hatte. Tiefe Stille empfing den Mann. Dahinter huschte sein kleinwüchsiger Gehilfe in den Schatten seines Meisters.
    Am Lederrock des Schamanen befanden sich unzählige Schnüre mit weißen und bunten Glasperlen. Dazwischen hingen längliche Eisenstäbe und Messingglocken, die klirrend hin und her baumelten. Brust und Rücken waren mit Tier- und Vogelkrallen verziert. Die Kapuze, die er trug, war umrahmt vom Kopffell eines Polarfuchses, dessen Schnauze über die Stirn des Trägers hinausragte und dessen Ohren bei jeder Bewegung des Mannes auf und ab flatterten. Wenn der Anlass nicht so ernst gewesen wäre, hätte Leonard beinahe lachen müssen, so komisch sah es aus. Nur das Gesicht des Mannes blieb frei. Die schwarzen Augen darin glühten wie ein Kohlefeuer.
    Kissankas Mienenspiel nahm einen verängstigten Ausdruck an. Auch ihrer Schwester war der Fremde nicht geheuer. Die meisten der Deportierten setzten eine unsichere Miene auf. Nur die Kosaken machten verhaltene Witzchen, und dem alten Wassiljoff war anzusehen, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis er vollends die Geduld verlor.
    Doch als der Schamane seine Trommel zückte, auf der eine menschenähnliche Fratze zu sehen war, und den ersten Schlag mit einem gebogenen Hämmerchen tat, verstummte jeglicher Protest. Die Glöckchen tönten leise, und die Zähne an seiner exotischen Aufmachung klapperten im Rhythmus seiner Schritte. Unterbrochen wurden diese Klänge nur vom Zischen einer blauen Flamme, die entstand, wenn sein Gehilfe ein merkwürdiges Pulver in die Glut warf.
    Der Tanz des Schamanen wurde immer ekstatischer, und seine Bewegungen wurden fahriger und unkontrollierter.
    »Er ruft Ogdy, den Gott des Donners, des Feuers und des Lichts,
der
unser Leben bestimmt«, flüsterte Tschirin erklärend. Die leuchtenden schwarzen Augen des jungen Tungusen und seine demütige Haltung drückten die ganze Ehrfurcht aus, die er gegenüber dem Mann empfand. »Wenn er in Trance fällt«, erklärte er leise, »kann er seinen Körper verlassen, um die Seele des Jungen zu retten.«
    |122| Fremdartige Laute klangen aus der Kehle des Mannes, die sich mit dem Zischen des Feuers vermischten. Der Gesang passte sich seinen schreitenden und manchmal huschenden Bewegungen an, bei denen er sich immerzu ums Feuer bewegte, den Blick konzentriert auf den bewusstlosen Jungen gerichtet. Bald war nur noch das Murmeln des Schamanen zu vernehmen, und die Trommel schlug leise den Rhythmus an, mit dem er geradezu um das Feuer herumzuschweben schien. Wie ein großer schwarzer Vogel, der seine Schwingen ausbreitet, ließ er sich über dem Kind nieder und

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