Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska
mich fragen, war es eher eine Art intensiver Traum.«
|149| »Ich habe mein ganzes Leben noch nie von einem solchen Mann geträumt«, setzte sich Viktoria zur Wehr. »Und wo sind meine Sachen abgeblieben? Schließlich hatte ich keinen Taucheranzug mehr an, als man mich fand. Oder habe ich Sie da falsch verstanden? Wer war es, der mich aus dem Wasser gezogen hat, und wo ist er jetzt?«
»Darüber können wir später noch sprechen. Sie benötigen erst einmal Ruhe«, erwiderte Doktor Parlowa beinahe streng und setzte dabei das Gesicht einer Gouvernante auf. »Oder möchten Sie, dass ich Sie gynäkologisch untersuche? Vielleicht war es doch eine Vergewaltigung, und Sie reden sich die Sache nur schön?«
»Nein, danke.« Viktoria schüttelte energisch den Kopf. Das Letzte, was sie sich vorstellen wollte, war eine gynäkologische Untersuchung durch Frau Doktor Parlowa. »Da fällt mir etwas ein«, fügte sie einer plötzlichen Eingebung folgend hinzu, »das vielleicht interessant sein könnte. Möglicherweise habe ich den Mann schon einmal gesehen. Vor ein paar Tagen, als wir in Vanavara angekommen sind, ist mir draußen auf dem Sportplatz ein Fremder begegnet, der ihm auf verblüffende Weise ähnlich sah. Er hatte einen Wolf bei sich.«
»Einen Wolf?« Doktor Parlowa runzelte die Stirn. »Seltsam! Nachdem Doktor Theisen Sie vor den Waschräumen gefunden hat, ist einer von Bashtiris Männern einem Laikahund gefolgt, der ganz in der Nähe knurrend am Boden lauerte. Bei dem Versuch, das Tier zu erschießen, wurde der Soldat von einer tungusischen Selbstschusswaffe getroffen. Der Mann ist vor unseren Augen gestorben. Das alles kann zufällig geschehen sein, und doch ist eine merkwürdige Sache. Wenn Sie erlauben, werde ich die Angelegenheit mit Sergej Bashtiri besprechen. Über Ihre intime Beichte werde ich Stillschweigen bewahren«, fügte sie rasch hinzu, als sie Viktorias verunsicherte Miene sah. »Die Beschreibung des Mannes, der anscheinend für Ihre Rettung verantwortlich ist, wird ihn sicher interessieren. Vielleicht wissen die Dorfbewohner, um wen es sich handeln könnte. Es erscheint mir ungewöhnlich, dass Ihr Retter Sie einfach im Camp abgelegt hat, ohne sich sehen zu lassen. Offenbar hat er etwas zu verbergen, und das ist es, was auch Bashtiri und seinen Leuten Sorgen macht.«
Viktoria beschlich ein ungutes Gefühl, als Frau Doktor Parlowa sich mit einem festen Händedruck von ihr verabschiedete.
|150| »Denken Sie, der Mann hat etwas mit dem Tod von Bashtiris Helfer zu tun?«
»Wir wissen es nicht.« Parlowas Blick war mit einem Mal seltsam distanziert. »Ich bleibe mit Ihnen in Kontakt. Professor Rodius werde ich sagen, dass Sie wohlauf sind.« Doktor Parlowa bemühte sich um ein zuversichtliches Lächeln. »Ich bin mir sicher, dass Sie die Krankenstation in ein paar Tagen wieder verlassen können.«
Sergej Bashtiri war ein Mann, der weder an Wunder noch an übersinnliche Wahrnehmungen glaubte – und schon gar nicht an ein Leben außerhalb unseres Planeten. Mit einem zweifelnden Blick beugte er sich über den seltsamen Leichenfund.
»Es handelt sich mit großer Wahrscheinlichkeit um menschliches Material«, sagte Doktor Parlowa und schaute von den beiden ledrigen, ineinander verschlungenen Körpern auf, als habe sie soeben eine seltene Spezies entdeckt. Ihre leicht hervorstehenden Augen wirkten über dem Mundschutz noch größer. »Natürlich könnten es auch Außerirdische sein«, bemerkte sie mit einem Anflug von trockenem Humor.
Außer ihr, Bashtiri und Doktor Swerew, einem jungen Anthropologen der Universität von Irkutsk, der im Auftrag von GazCom am späten Nachmittag per Helikopter eingeflogen war, hatte nur noch Andrej Lebenov bei der Untersuchung Zutritt gefunden. Der Sicherheitschef von GazCom stand an der Tür und sorgte mit vier Söldnern seines Teams dafür, dass niemand sonst Zutritt fand.
Professor Olguth hatte man ebenso den Zugang zum Kühlhaus des Camps verweigert wie seinem deutschen Kollegen Professor Rodius. Offiziell hatte man Platzprobleme als Grund angegeben. Im Vorraum des Kühlhauses, wo erste Untersuchungen auf einem improvisierten Esstisch durchgeführt wurden, war es tatsächlich so eng, dass selbst die vier Anwesenden das Tun von Doktor Swerew nicht uneingeschränkt beobachten konnten. Es war Lebenov gewesen, der Bashtiri zu diesem Vorgehen geraten hatte. Bevor nicht genau feststand, um was es sich bei dem Fund handelte, wollte man weder die russische Regierung ins
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