Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska
Boot holen noch die obersten Führungskreise des Gasimperiums einweihen. Immerhin bestand die Möglichkeit, sich lächerlich |151| zu machen oder etwas zu entdecken, das tatsächlich von herausragender Bedeutung sein konnte. Auf jeden Fall wollte man sich genug Zeit lassen, um zu entscheiden, ob man die Lorbeeren ernten und anschließend unter sich verteilen wollte oder ob man die gewonnenen Erkenntnisse – wie schon öfter geschehen – ohne Wissen der offiziellen Stellen für sich selbst in Anspruch nahm, indem man sie still und heimlich in bare Münze umwandelte.
Es roch nach Moder und Fisch. Die kakaobraune, zähe Masse, die auch nach ihrem Auftauchen aus den Tiefen des Sees an den Mumien haften geblieben war, wirkte alles andere als appetitlich. In erster Linie wollte man feststellen, um wen es sich handelte und, falls dies vor Ort nicht möglich war, wie der Weitertransport der Körper in ein wissenschaftliches Institut nach Irkutsk organisiert werden konnte.
Doktor Swerew trug neben seinem Mundschutz eine Stirnlampe nebst Lupe und näherte sich nun vorsichtig etwas, das wie ein Arm aussah. Die daran befindlichen Gliedmaßen wirkten wie die großen Füße eines überdimensionalen Frosches, den man aus dem tropischen Regenwald in die sibirische Taiga entführt hatte.
Mit seiner rechten Hand, die in einem dünnen Latexhandschuh steckte, führte Swerew vorsichtig ein Skalpell an das Untersuchungsobjekt heran.
»Man muss sich wundern«, raunte er leise, während er die ledrigen Falten der Gliedmaßen langsam anzuheben versuchte, »dass das Material sich am Grund des Sees solange gehalten hat. Wie es scheint, ist in den Gliedern kein einziger fester Knochen mehr zu finden – als hätte man die Körper gewalzt, gegerbt und anschließend wie eingelegte Gurken in einem Glas haltbar gemacht.«
»Wer sollte so etwas tun?« Bashtiri wirkte irritiert. Seine Vorurteile gegenüber den hier lebenden Ureinwohnern bezogen sich in erster Linie auf deren Jagd- und Lebensgewohnheiten, die so gar keine Rücksicht auf die geschäftlichen Interessen eines Oligarchen nehmen wollten. Sogar per Gericht stritten sie gegen die Erschließung weiterer Öl- und Gasfelder. Dass sie sich – wann auch immer – dem Kannibalismus verschrieben haben sollten, konnte er sich allerdings nicht vorstellen.
»Ich sage ja nicht, dass es jemand getan hat«, verbesserte sich Swerew. »Ich sagte nur, dass es so aussieht.«
|152| »Können Sie feststellen, um was für Landsleute es sich handelt? Sind es Ewenken oder Russen?« Bashtiris Neugierde war geweckt. Sein Blick wanderte über die kaum mehr als ein Meter zwanzig langen Moorleichen hinweg bis zu den vermeintlichen Köpfen – zwei flache, rundliche Anhängsel, bei denen man nur noch erahnen konnte, dass es sich um Menschen handelte. Runzlig wie platt gedrückte, getrocknete Feigen durfte man inmitten all dieses Chaos zwei Nasenlöcher vermuten und einen Mund, der seiner Lippen beraubt worden war. Die Zähne waren nur noch vereinzelt vorhanden und steckten wie gelbliche Scherben im braunen Fleisch.
»Denken Sie, es sind tatsächlich Menschen?« Bashtiri bedachte Frau Doktor Parlowa mit einem zweifelnden Blick. Wenn man es genau betrachtete, sahen diese Körper aus wie die Überreste zweier kleiner grüner Männchen, die wie siamesische Zwillinge miteinander verbunden waren.
Parlowa schaute erstaunt auf. »An was dachten Sie?«
Bashtiri antwortete nicht, und Swerew nahm eine Pinzette, die in einer seitlichen Petrischale gelegen hatte. Mit ihr und einem Skalpell entfernte er ein Stück vom vermeintlichen Arm, indem er einen sauberen Schnitt ins ledrige Fleisch führte. Irgendetwas erregte seine besondere Aufmerksamkeit. Doktor Parlowa beugte sich interessiert so weit über die beiden Körper, dass sie Bashtiri und Lebenov die Sicht versperrte.
»Was ist?«, rief Bashtiri aufgebracht. »Haben Sie etwas gefunden?« Plötzlich glaubte er einen Tentakel zu sehen, das diesen verschlungenen Haufen aus gesottenem Fleisch in seiner eher spärlichen Phantasie tatsächlich zu einem Marsbewohner mutieren ließ. Ein leises Geräusch holte ihn in die Wirklichkeit zurück.
Swerew hatte einen metallischen Gegenstand in die Petrischale geworfen und spülte ihn mit einer Pipette ab. Dann nahm er das kleine Metallstück erneut auf und betrachtet es intensiv unter seiner Lupe.
»Sagen Sie schon«, bedrängte ihn Bashtiri. »Was ist es?«
»Es ist der Deckel einer Taschenuhr.« Swerew richtete sich halb auf
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