Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska
die drei Studenten und den Professor über den schneebedeckten, hart gefrorenen Boden zu einer riesigen Halle, die Leonard schon Tags zuvor aufgefallen war.
Das Innere des beeindruckenden Gebäudes, dessen Höhe mindestens dreißig Meter betrug, wurde von gigantischen hölzernen Gerüsten und Rampen beherrscht, deren Funktion Leonard nicht genau einordnen konnte.
Pjotr kam ihm unvermittelt zur Hilfe. »Wenn mich nicht alles täuscht, könnte man mit diesen Vorrichtungen spielend ein Luftschiff bauen«, sinnierte er flüsternd. »Aluminium, in bester Qualität«, fügte er staunend hinzu, während die Blicke aller auf die längs gestapelten, matt glänzenden Platten fielen, die zahlreich und nach Größe sortiert in einem Ständergerüst lagerten.
|182| Lobow ließ die Spekulationen seiner Neuzugänge unkommentiert, ebenso wie Weinberg, der nur eine seiner weißen buschigen Brauen hob.
Überall liefen Arbeiter zwischen den abenteuerlich wirkenden Aufbauten herum, und obwohl die Umgebung chaotisch wirkte, wusste anscheinend ein jeder von ihnen, was zu tun war.
Leonard war der Erste, der von der Halle durch eine Tür in eine angrenzende Baracke geführt wurde. Darin befand sich ein improvisiertes Büro, in dem Lobow hinter einem grob gezimmerten Schreibtisch Platz nahm. Bis auf Weinberg mussten die anderen draußen warten, nachdem der Kommandant Leonard aufgefordert hatte, die Tür zu schließen.
»Wie gut kennen Sie sich mit elektrischen Fernsteuerungen aus?«, fragte Lobow.
Leonard war vollkommen überrascht. Wusste man, dass ihm die Möglichkeiten und die Weiterentwicklung der Fernsteuerung seit seinem Aufenthalt in Amerika keine Ruhe mehr gelassen hatte? In Teslas Laboratorium hatte er Zeuge werden dürfen, wie der geniale Meister der Elektrotechnik seinen großen Coup wiederholte, bei dem er 1898 auf der Weltausstellung in New York ein per Funkfeuer ferngesteuertes Schiffsmodell vorgeführt hatte. Leonard konnte sich noch gut daran erinnern, wie der schnauzbärtige Kroate mit diebischer Freude das kleine Boot wie von Zauberhand in eine Gruppe von Enten gelenkt hatte, die er damit von einem Teich aufscheuchte.
»Teslas System ist in den USA patentiert«, stellte Leonard klar, obschon er ahnen konnte, dass dieser Umstand hier keine Rolle spielte.
»Können Sie es nachbauen?« Lobow musterte ihn eindringlich.
»Ich denke schon«, erwiderte Leonard zögernd. »Die Frage ist nur, für was Sie es gebrauchen wollen?«
»Wenn Ihnen gelingen sollte, dass wir damit ein Luftschiff ohne Besatzung steuern können, werden wir Ihre kleine Freundin von Tomsk hierher holen.«
Leonard traf es wie ein Schock. Wie sollte er das bewerkstelligen? Ein Modellboot war eine Sache, ein Luftschiff von mindestens einhundert Meter Länge aber eine ganz andere. Die Aussicht, Katja wieder in seinen Armen zu halten, ließ ihn euphorisch werden. Er musste es schaffen, selbst wenn es einige Zeit dauern sollte.
»Ich weiß nicht«, sagte er ehrlich. »Es gibt vielleicht bessere Lösungen, |183| als ein Luftschiff per Funk fernzusteuern. Sobald es sich außer Reichweite der Funkanlage befindet, wird es womöglich an einem Berg zerschellen. Bei einer Fernsteuerung ist man nicht nur auf solide Frequenzen angewiesen, sondern auch darauf, ob Tag oder Nacht herrscht, weil die Wellen je nachdem stärker oder schwächer von der Erdatmosphäre gespiegelt werden. Wenn Sie es ohne Personal navigieren wollen, sollten Sie eher eine automatische Steuerung ins Auge fassen. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, das Schiff mit einem Automaten zu steuern, der sich nach einem eingebauten Kompass richtet?«
Leonards Bedenken interessierten Lobow offenbar nicht. »Um eine brauchbare Lösung zu entwickeln, hat man Ihnen das Leben geschenkt und Sie und Ihre Kameraden hierher gebracht. Denken Sie sich etwas aus, das uns zu einer unbemannten Mission verhelfen kann. Es liegt allein an Ihren Fähigkeiten, ob Sie sich das Leben in diesem Lager angenehmer gestalten wollen, als es ohnehin schon ist.« In seiner Stimme lag eine gehörige Portion Sarkasmus. »Gerade im Winter werden Sie glücklich sein, im Bett vom drallen Fleisch eines Mädchens gewärmt zu werden. Noch besser, wenn es die Auserwählte ist.«
Leonard spürte Wut in sich aufsteigen. »Denken Sie tatsächlich, das allein reicht, um ein vorzeigbares Ergebnis zu garantieren? Ein Wissenschaftler benötigt weit mehr als einen Frauenhintern, um seine Arbeit anständig ausführen zu können.«
»Es
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