Schamland
Zinnlöffel mit Wappenaufdruck in einer Holzhalterung für 4,50 Euro, muffelige Sofagarnituren für 90 oder 150 Euro. Überteuerter Ramsch. Aber dafür gibt es fast alles. Gläser, Geschirr, Tische, Lattenroste, Fitnesszubehör, Zinnkrüge, Klamotten, Servietten, Knöpfe. Alles wirkt zusammenhangslos hingestellt. Dazwischen liegt ein Teddy einsam in einem halb aufgebauten Kinderbett. Zumindest diesen könnte vielleicht noch jemand brauchen.
Neben Baumarkt-Resterampe und Sozialkaufhaus entdecke ich, in einer anderen Stadt, noch eine neue Facette der Armutsökonomie, einen Lemmi-Markt. 1 Eine Frau erklärt mir das Lemmi-Prinzip: »Hier können alle einkaufen, nur Montag und Dienstag nicht. Die Waren sind übrig gebliebene Lebensmittel.« Genau genommen stammen die Waren aus Havarieschäden, Überproduktionen oder Falschetikettierungen. Oder es sind Waren, die nahe am Mindesthaltbarkeitsdatum sind. So ähnlich also wie bei den Tafeln, die dieses Prinzip schließlich nicht für sich gepachtet haben. Wenn zur Tafel zu gehen etwas zwischen Shoppen und Containern bedeutet, was sind dann Lemmi-Märkte? Die Renaissance des Ur-Aldis, die Demokratisierung der Resteverwertung als Schnäppchenstrategie?
Anders als bei Tafeln gibt es in einem Lemmi-Markt keine Bedürftigkeitsprüfung oder Zugangskontrollen. Dies lässt sich auch recht offensichtlich an den parkenden Autos vor dem Markt erkennen, die bis zum Mittelklassesegment reichen. Lemmi-Märkte scheinen also eine Art Vor-Tafel für diejenigen zu sein, die sparen müssen oder wollen, die aber (noch) über einen Sozialstatus verfügen, der das Tafeln ausschließt.
Um 10:30 Uhr herrscht bereits Hochbetrieb. Der Markt selbst befindet sich in einer äußerst schlichten Lagerhalle und hat vergitterte Oberlichter. Er wirkt wie eine Mischung aus Jugendknast und Legebatterie. Über der Tür klebt eine große Maus im Cartoon-Stil, die sich über ein Käsestück freut, bei dem eine Ecke fehlt. Die fressgierige Maus soll wohl das Motto des Marktes symbolisieren: Nimm, was du kriegen kannst – schnell, heimlich, billig. Drinnen entdecke ich immer wieder Schilder mit Drohbotschaften, die von der Decke herabhängen: »Jeder Ladendiebstahl wird sofort zur Anzeige gebracht«. In diesem etwas anderen Supermarkt könnten Diebe zwischen türkischen Geflügelwürstchen und Bier in Plastikflaschen wählen. Oder ein Auge auf das ausrangierte Sortiment aus Knorr- und Maggi-Tütenzeug sowie Produkte aus der »Du darfst«-Linie werfen. Irgendwie findet sich auch hier alles und nichts. Eine fast heilige Stimmung der Ernsthaftigkeit liegt über allem. Sie rührt von der Anstrengung des Preisvergleichs. Hier fehlen die von den Verbraucherschützern angemahnten Preisangaben, die sich auf 100 Gramm, 1 Liter oder 1 Kilo beziehen, hier wird es richtig kompliziert. Die Preise müssen von den Einkaufenden selbst mit Volumen-, Gewichts- oder Mengenangaben in Relation gesetzt werden.
Dennoch drängen sich bald die Menschen um die Paletten und Kartonstapel. Sie nehmen Produkte aus Kisten und Kartons, schauen auf Haltbarkeitsdaten und vergleichen Preise. Tatsächlich wirkt der Markt auf mich vor allem wie ein Discounter aus längst vergangenen Zeiten, als die Mittelschichtsmütter noch Mut brauchten, um beim nächsten Aldi einkaufen zu gehen.
Aufessen gehört zum Programm
Alles hier ist flach und ordentlich. Schilder mit seniorenfreundlicher Großschrift am Straßenrand weisen Gärtnereien in der Nähe aus. Die Häuschen und kleinen Höfe sind aus Backstein gebaut, hinter Zäunen dösen hin und wieder Ponys in der Sonne. Die ersten Frühlingswolken zeigen sich am Himmel, der Wind kommt scharf aus Westen. Ich quere einen Fluss, der Hochwasser hat. Vereinzelte Windräder stehen in der Landschaft und erzeugen Öko-Strom. In der nächsten Stadt möchte ich mich mit einer Frau treffen, die regelmäßig zu einer Suppenküche geht. Da ich mich nicht auskenne, halte ich an einer Straßenecke, kurbele die Scheibe herunter und frage jemanden nach dem Weg.
Der Treffpunkt entpuppt sich als Rockerkneipe. Eigentlich wollte ich zur örtlichen Suppenküche. Ich will schon das Handy zücken, als mir aufgeht, dass die Rockerkneipe an zwei Tagen in der Woche die Räumlichkeiten tagsüber für eine Suppenküche zur Verfügung stellt. Heute ist einer dieser Tage. Es ist nicht das erste Mal, dass ich in einer Suppenküche esse, aber es ist mit Sicherheit der bislang außergewöhnlichste Ort.
Die Suppenküche wird
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