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Schamland

Schamland

Titel: Schamland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Selke
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von einer Handvoll Frauen orga­nisiert, die schon seit zehn Jahren ehrenamtlich Mittagessen anbieten. Als ich zusammen mit meiner Gesprächspartnerin die Kneipe betrete, warten schon 20 Personen auf die Essensausgabe. Die Holztische sind mit Wachstüchern überdeckt, auf denen Blumenmotive abgebildet sind. Rocker würden sich hier nicht wirklich wohlfühlen. Der Raum füllt sich. Immer mehr meist ältere Frauen und Männer kommen herein. Wir werden, soweit wir noch unschlüssig herumstehen, zu Tisch gerufen. Zusammen mit meiner Gesprächspartnerin setzte ich mich an einen Tisch, an dem schon sechs oder sieben Personen Platz genommen haben.
    Zunächst wird von einer der Helferinnen das Gebet gesprochen: »Der Tisch ist unsere Mitte … der Glaube ist unser Weg … sei mit uns alle Zeit.« Es wird mit einem braven und vielstimmigen »Amen« beendet. Dann erhebt sich ein eher kneipentypisches Wirrwarr aus Stimmen. »Rotwein oder Weißwein?«, fragt eine der Helferinnen. Der Weißwein entpuppt sich als Wasser, der Rotwein als verdünnter Früchtesaft. Die Suppe wird serviert. Sogleich beginnt am Tisch eine ungewöhnliche Diskussion.
    »Ist das Erbsensuppe?«
    »Nein, Gulaschsuppe!«
    »Keine Erbsensuppe?«
    »Nein, Linsensuppe!«
    »Wir haben doch sonst immer Erbsensuppe gehabt!«
    »Nein, einmal Linsensuppe und dann Erbsensuppe, abwech­selnd«
    »Das ist Gulaschsuppe!«
    »Da sind aber Linsen drin!«
    »Gulaschsuppe ist das!«
    »Ja, nur Gulasch.«
    Als sich die Gäste am Tisch auf die Bezeichnung der Suppe einigen können, wird gegessen und das Essen gelobt. Und zwar so, dass die Helferinnen es auch hören können: »Schmeckt ­lecker, sehr lecker«, »Ja, superlecker!«, »Einwandfrei!«, »Wunderbar!« Und dann leiser, nur für den eigenen Tisch bestimmt: »Besser kann ich das auch nicht.« Oder: »Die Gulaschsuppe von Aldi in der Büchse ist auch lecker, esse ich auch gerne.« Der Diskussion über Aldi folgen weitere Themen, die nichts mehr mit dem Thema Essen zu tun haben. »Was gibt’s Neues?«, fragt ein Mann. »Nichts Neues«, antwortet eine Frau. Nach und nach entsteht dann doch noch ein Gespräch. Über einen Mitbewohner, der Kakerlaken mit ins Haus schleppte. Über eine Wohnung, die gerade frei wurde, eine Frau, die Zwillinge bekommen hat. Am intensivsten sprechen die ­Anwesenden über die Abwesenden, denn Abwesenheit be­deutet immer den Einbruch der Krise in den fragilen Alltag (»ist im Krankenhaus, wer weiß, ob die wieder auf die Beine kommt …«).
    Meine Gesprächspartnerin ist deutlich jünger als alle an­deren am Tisch, die schon längst im Rentenalter sind. »Wir sitzen immer hier«, erzählt sie, »das ist unser lustiger Tisch. Bei uns gibt es immer was zu lachen. Wie so ein Stammtisch. Das fühlt sich so an wie eine Familie. Ist doch schön, oder?« Und der Mann am Tisch fügt hinzu: »Jetzt wollen wir mal ehrlich sein. Ich komme hier nur her wegen der Geselligkeit«, mischt er sich ein. Und dann wird er noch deutlicher. »Ich könnte ja auch alleine kochen, aber alleine schmeckt es nicht. Zweimal die Woche, da hat man ein bisschen Unterhaltung. Und man wird bedient.«
    Eine Helferin schaut vorbei und fragt, ob jemand noch einen Nachschlag möchte. »Ich möchte, meine Liebe, ich möchte«, antwortet der alte Mann flirtend. Die Gulaschsuppe ist in der Tat sehr lecker, satt werde ich davon aber nicht. Ich dachte, die Suppe sei die Vorspeise, deshalb habe ich das Angebot für den Nachschlag abgelehnt. Ein Irrtum. Immerhin gibt es danach noch Pudding mit Schokoladenstückchen und einem Tupfer Sahne.
    Meine Gesprächspartnerin erzählt immer wieder von ihrer Tochter, die es einmal besser haben soll als sie. Vieles ärgert sie im Leben, am meisten die Bürokratie. Sie erzählt davon, wie sie versucht, sich nützlich zu machen. Sie hilft Älteren und sie hilft bei der Tafel. Die besseren Jobs dürfen dort die Ehrenamtlichen machen. »Wenn da Schluss ist, komme ich und putze«, erzählt sie, freiwillig. »Die haben mich gefragt, ob ich Lust hätte. Da habe ich gesagt, kein Problem.« Sie putzt, »damit die Frauen früher nach Hause gehen können. Die haben es ja schon schwer genug.« Auch in der Suppenküche räumt sie jetzt auf und muss dafür unser Gespräch beenden. Für ihre Tochter, die noch zur Schule geht, lässt sie sich das Mittag­essen in mitgebrachte Plastikbehälter einpacken.
    Einen ganz anderen Typ Suppenküche besuche ich in einer mitteldeutschen Großstadt. Zusammen mit einigen

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