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Schande

Schande

Titel: Schande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. M. Coetzee
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vorsichtig werden sie wieder zu Freunden, sozusagen. Kriegsveteranen. Es ist tröstlich, daß Rosalind noch in der Nähe wohnt; vielleicht empfindet sie ihm gegenüber auch so. Jemand, auf den man zählen kann, wenn das Schlimmste eintrifft: der Sturz im Badezimmer, das Blut im Stuhl.
      Sie sprechen von Lucy, einziger Sprößling aus seiner ersten Ehe, die jetzt auf einer Farm in der Provinz Ost-Kap lebt.
      »Vielleicht sehe ich sie bald«, sagt er – »ich plane eine Reise.«
      »Mitten im Semester?«
       
     
      »Das Semester ist fast zu Ende. Noch zwei Wochen sind durchzustehen, das ist alles.«
      »Hat das was mit den Problemen zu tun, die du hast?
      Ich höre, daß du Probleme hast.«
      »Wo hast du das gehört?«
      »Die Leute reden, David. Jeder hat von deiner letzten Affäre gehört, bis ins pikanteste Detail. Niemand außer dir hat Interesse daran, es zu vertuschen. Darf ich dir sagen, was für eine klägliche Figur du dabei abgibst?«
      »Nein, du darfst nicht.«
      »Ich tu’s trotzdem. Kläglich und auch häßlich. Ich weiß nicht, wie du dein Sexproblem löst, und ich will es auch gar nicht wissen, aber so geht das nicht. Du bist jetzt, wie alt? Zweiundfünfzig? Glaubst du, irgendein junges Mädchen hat Spaß daran, mit einem Mann dieses Alters ins Bett zu gehen? Glaubst du, ihr gefällt es, dich zu sehen, wenn du ...? Hast du schon mal daran gedacht?«
      Er schweigt.
      »Erwarte kein Mitleid von mir, David, und erwarte auch von keinem anderen Mitleid. Kein Mitleid, keine Gnade, nicht heutzutage und in dieser Zeit. Alle werden gegen dich sein, und warum auch nicht? Wirklich, wie konntest du nur?«
      Der alte Ton hat sich eingeschlichen, der Ton aus den letzten Jahren ihrer Ehe: leidenschaftlich anklagend. Sogar Rosalind muß das mitbekommen. Aber vielleicht hat sie ja recht. Vielleicht haben die Jungen einen Anspruch darauf, mit dem Anblick der Älteren, wenn sie die Leidenschaft gepackt hat, verschont zu werden. Dafür gibt es ja schließlich Huren: um sich der Ekstasen der nicht Liebenswerten anzunehmen.
       
     
      »Jedenfalls wirst du Lucy besuchen, sagst du«, fährt Rosalind fort.
      »Ja, ich dachte, daß ich nach der Untersuchung hinfahre und einige Zeit bei ihr bleibe.«
      »Untersuchung?«
      »Nächste Woche tagt ein Untersuchungsausschuß.«
      »Das ist sehr schnell. Und nach deinem Besuch bei Lucy?«
      »Ich weiß nicht. Ich bin nicht sicher, ob ich an die Universität zurückkehren darf. Ich bin nicht sicher, ob ich das will.«
      Rosalind schüttelt den Kopf. »Ein unrühmliches Ende deiner Karriere, findest du nicht? Ich frage nicht, ob das, was du von dem Mädchen bekommen hast, diesen Preis wert war. Was wirst du dann mit deiner Zeit anfangen?
      Was ist mit deiner Pension?«
      »Ich werde irgendeinen Vergleich mit ihnen schließen.
      Sie können mich nicht ohne Abfindung entlassen.«
      »Nein? Sei da nicht so sicher. Wie alt ist sie – deine Angebetete?«
      »Zwanzig. Erwachsen. Alt genug, um zu wissen, was sie will.«
      »Man erzählt, daß sie Schlaftabletten genommen hat.
      Stimmt das?«
      »Ich weiß nichts von Schlaftabletten. Das klingt für mich wie reine Erfindung. Wer hat dir von Schlaftabletten erzählt?«
      Sie geht nicht auf die Frage ein. »War sie verliebt in dich? Hast du sie sitzenlassen?«
      »Nein. Keins von beiden.«
      »Warum dann diese Beschuldigung?«
      »Wer weiß? Sie hat sich mir nicht anvertraut. Hinter den Kulissen wurden irgendwelche Kämpfe ausgefochten, in die ich nicht eingeweiht war. Es gab einen eifersüchtigen Freund. Es gab empörte Eltern. Zum Schluß muß sie zusammengebrochen sein. Für mich kam das völlig überraschend.«
      »Du hättest es wissen müssen, David. Du bist zu alt, um dich mit den Kindern anderer Leute einzulassen. Du hättest auf das Schlimmste gefaßt sein müssen. Auf jeden Fall ist das alles sehr erniedrigend. Wirklich.«
      »Du hast noch nicht gefragt, ob ich sie liebe. Solltest du das nicht auch fragen?«
      »Sehr gut. Liebst du diese junge Frau, die deinen Namen durch den Schmutz zieht?«
      »Sie kann nichts dafür. Gib nicht ihr die Schuld.«
      »Nicht ihr die Schuld geben! Auf wessen Seite bist du?
      Natürlich gebe ich ihr die Schuld! Ich gebe dir und ihr die Schuld. Die ganze Angelegenheit ist von Anfang bis Ende skandalös. Skandalös und auch geschmacklos. Und es tut mir nicht leid, das auszusprechen.«
      Früher wäre er an dieser Stelle in

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