Schandweib
Geständnis treibt uns die Mörder vor die Füße.«
Wrangel konnte und wollte Wilken da nicht folgen, hielt sich aber zurück. Dieses soeben inszenierte Schauspiel war alles andere als eine anständige gerichtliche Befragung von Beschuldigten. Die armen Leute wussten ja bis zum letzten Moment noch nicht einmal, was ihnen vorgeworfen wurde. Stattdessen legte man ihnen einen Fallstrick nach dem anderen aus, bis sie sich so verstrickt hatten, dass sie weder vor noch zurück konnten. Was bezweckte Wilken nur damit? War die Not wirklich so groß, den Mord vom Schweinemarkt nun doch noch aufzuklären? Oder brauchte er einfach nur noch einen erfolgreich gelösten und zu richtenden Fall vor dem nahen Ende seiner Amtszeit? Wrangel biss sich auf die Innenseite seiner Wange. Nein, er würde jetzt nicht den Mund aufmachen, sondern erst einmal abwarten, wie diese Posse weiterging.
»Ihr werdet sehen«, fuhr Wilken inzwischen aufgeräumt fort, »dass sich dieser Fall zu aller Wohlgefallen wird lösen lassen und so auch Ihr endlich wieder Luft haben werdet, Euch um die Dinge zu kümmern, die dringend Eurer Aufmerksamkeit harren. In einer Stadt wie Hamburg sollte die Juristerei den Handel unterstützen. Darin liegt eine ihrer wichtigen Aufgaben, deren Ihr Euch künftig stärker annehmen solltet. Schließlich führt ja auch Eure Familie ein florierendes Handelshaus, das Eure juristischen Fähigkeiten zu schätzen wissen wird.«
Wrangels Miene verfinsterte sich, aber er biss sich weiter fest auf die Wange, um seine Zunge im Zaum zu halten.
»Nun lasst uns noch überlegen«, wechselte Wilken lässig das Thema, »wen wir als Pflichtverteidiger für die beiden Beschuldigten einsetzen können. Ihr seid schließlich schon besetzt, und auch die anderen könnten ruhig mal öfter zu diesen Pflichten herangezogen werden. Was haltet Ihr von Brasche und Garlinghoff? Sie sind beide umgängliche junge Männer, mit denen Ihr sicherlich gut werdet zusammenarbeiten können.«
29
N un, Claussen, was haltet Ihr von dieser Geschichte?«, fragte Wrangel seinen Freund, der bedächtig einen Schluck seines heißen Kaffees trank. Seit einer guten halben Stunde saßen die beiden Männer bereits auf ihrem Stammplatz im Kaffeehaus am Kattrepel, und Wrangel hatte ihm, nahezu ohne Luft zu holen, von den neuesten Ereignissen im Fall Bunk erzählt.
»Vielleicht hat der Prätor recht, Wrangel, und Ihr solltet Euer Augenmerk verstärkt auf andere Fälle richten, Euch zumindest nicht zu sehr in diesen hier versteigen. Was sind Eure Beweise schon wert und wie weit könnt Ihr überhaupt den Geschichten dieser Frau trauen? Bei so vielen Menschen, die sie schon angelogen hat, da sollt ausgerechnet Ihr derjenige sein, dem sie die reine Wahrheit sagt?« Claussen schüttelte mit leicht verzagtem Grinsen den Kopf. »Die Dinge sind selten so, wie sie zu sein scheinen. Aber wenn die Frau ein solches Geständnis ohne äußere Not ablegt, dann muss die innere schon sehr groß sein, sie dazu zu treiben. Als ihr Anwalt sollt Ihr auf die Wahrung ihrer Rechte achten und sie vor möglicher Willkür des Gerichtesschützen. Aber es ist nicht Eure Aufgabe, gegen ihren erklärten Willen ihre Unschuld zu beweisen.«
Wrangel kaute auf seiner Unterlippe. Sein Freund hatte recht. Er durfte nicht zu weit gehen mit seiner anwaltlichen Fürsorge für die Frau. Aber er durfte sie auch nicht sehenden Auges in ihr Verderben rennen und dabei noch andere, womöglich unschuldige Menschen mitreißen lassen. Wollte Gott wirklich, dass er für die Unschuld dieser Frau kämpfte? Er war sich nicht mehr sicher. Ihm rauschte einfach nur der Kopf, aber er musste sich zusammennehmen und vernünftig denken.
»Vielleicht habt Ihr recht, Claussen. Ein erneutes Verhör der drei Beschuldigten ist für morgen früh angesetzt. Womöglich bringt es ja etwas Licht in die Sache. Danach werden zumindest drei umfangreiche Aussagen vorhanden sein, die man gegeneinander abwägen kann. Dann ist da auch noch diese Geschichte mit der Trauung in Wandsbek, die sich überprüfen lässt. Da muss es doch noch irgendwelche Aufzeichnungen geben.«
»In Wandsbek? Die Trauung vor Pastor Bredefeld? Seinem Ruf nach führt der nicht gerade Buch über solche Dinge, schon gar nicht, wenn sie ihm Schwierigkeiten machen könnten. Aber mein Pastor Krüger kennt Bredefeld noch aus alten Zeiten. Ich werde ihn gern fragen, ob er Euch ein paar hilfreiche Zeilen für Bredefeld mit auf den Weg geben kann, wenn Ihr denn meint, so weit gehen
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