Schartz, S: Elfenzeit 15: Die Goldenen Äpfel
die Brust vor, pumpte sich mit Luft voll, so weit es ging, und sah sich selbst als großen bösen Wolf vor dem Haus der drei kleinen Schweinchen. Im Gegensatz zu dem Märchentier aber würde er tatsächlich alles umpusten. Robert spannte den Kehlkopf an und stellte sich vor, wie er die größtmögliche Gewalt in seine Stimme legte.
Danach öffnete er den Mund, und ein gewaltiger Luftschwall kam heraus, der die Zombies tatsächlich zurücktrieb, sogar ihre Kleidung nach hinten wehte.
»Ihr verschwindet jetzt sofort, ich will euch hier nicht mehr sehen! Habt ihr verstanden? Haut ab, geht nach Hause und wartet da!«
Diesmal war es Anne, die ihr Gehör schützen musste, aber sie blieb immerhin aufrecht stehen, während alle anderen von dem Donnerschlag, zu dem Roberts Stimme geworden war, fast umgeworfen wurden.
Und sie zeigte sofort Wirkung. Wie schon beim ersten Mal ergriffen die Untoten die Flucht, rafften noch schnell zusammen, was herumlag, und liefen erstaunlich schnell einen Gang hinunter. Anne platzierte Elfenfeuer auf einigen Fliehenden, sodass sie noch eine ganze Zeit als schaukelnde Lichtpunkte zu sehen waren.
Robert war erschrocken über sich selbst, aber auch stolz. »Hast du das gewusst?«
»Nein«, antwortete Anne. »Noch nie erlebt. Langsam wirst du mir unheimlich, Robert Waller. Und ich frage mich, ob ich nicht einen Fehler gemacht habe.«
Er grinste. »Unsinn, dir kann nichts Angst machen, Anne Lanschie, das weiß ich genau. Und solange du mich aus den Boxershorts hauen kannst, wachse ich dir sicher nicht über den Kopf.«
»Bei all der Selbstbeweihräucherung gestatte mir eine Bemerkung: Wieso hast du nicht einen oder zwei von denen als Tourist Guide zurückbehalten?«
Verdutzt starrte er sie an. »Das hättest du mir vorher sagen müssen!«
Sie gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf. »Weiter, Bigby Wolf. Such, such!«
»Ich bin ganz allein, aber ich habe keine Angst, denn ich bin bestens ausgerüstet und habe alle Heldenfilme gesehen, die es gibt, und ich weiß ganz genau, was zu tun ist«, murmelte Tom vor sich hin, während er den Gang entlangschritt. Hinter sich hörte er ein seltsames Dröhnen und Brummen, das von oberhalb zu kommen schien, dann ging es um eine Biegung, und die Welt schloss sich um ihn. Ein Glück, dass die Maglite noch ging. Er hatte zwar einen Ersatz dabei, aber nur einen kleinen.
In der Tiefe war es mindestens genauso still wie oben, aber Tom hatte das Gefühl, dass die Luft sich verändert hatte. Sie roch nach – wie sollte er es ausdrücken? –, ja, wie in den Museen, die er als Kind besucht hatte, fand er. Nach altem Leder, Farben, Metallstaub, eben all dem muffigen Zeug, das in zumeist alten, schlecht belüfteten Räumen herumstand. Dazu kam jede Menge Fußschweiß, alte Socken, feuchte Kleidung nach einem Regenguss, Achselschweiß, Mundgeruch, Rasierwasser und Parfum, was sich alles im knarrenden alten Holz absetzte und in gewissen Abständen wieder freigegeben wurde.
Solche Museen gab es längst nicht mehr. Aber diesen Geruch verband Tom unwillkürlich mit seiner Kindheit, als die Klasse kurz vor den Ferien, weil sie nichts Besseres zu tun hatte, ins Heimatkundemuseum geschleift wurde.
Wie kam so ein Geruch in die Gänge unterhalb von München? War er im Lauf der Jahrzehnte durchs Gestein gesickert und hatte sich dort gesammelt? Aber warum verwehte er nicht, sondern hielt sich hartnäckig, als wäre er selbst ein Museumsstück?
Selbst unten, wo es so gut wie keine Luftbewegung gab, konnte sich so ein Geruch nicht auf Dauer halten.
Doch das war noch nicht alles, wie Tom als Nächstes auffiel. Über dem Geruch lag etwas, das fremd war, etwas Süßliches, das ... leicht glitzerte in der Dunkelheit.
Was für ein Blödsinn
, schalt er sich selbst und schüttelte den Kopf.
Fünf Minuten im Abgrund, und schon bist du durchgedreht. Eine optische Täuschung, nichts weiter. Am besten hältst du es noch für Magie, haha.
Aber was war mit seiner Nase? Dadurch, dass die Augen nicht so viel zu tun hatten, schärften sich automatisch die anderen Sinne. Tom hatte schon immer eine empfindliche Nase gehabt. Geruch war für ihn ausschlaggebend, ob er das Wagnis einer Beziehung einging oder nicht. Und so, wie andere auf optische Reize assoziativ reagierten, war es bei ihm mit Düften.
Das war für ihn so selbstverständlich, dass er nie darüber nachgedacht hatte. Bis zu diesem Moment.
»Also folge ich dem Geruch«, murmelte er. »Der wird mich irgendwohin führen.«
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