Schartz, S: Elfenzeit 20: Der Atem der Unsterblichkeit
ordentlich an Flughöhe zulegen müssen, um den Baum zu überfliegen.
Zu Zeiten der Unsterblichkeit hätte dieser Anblick einen Betrachter vermutlich zu Tränen gerührt – all das Grün, das man noch erahnen konnte, und bunte Farbtupfer, glitzernde Seen und Fontänen. Doch auch im Sterben, in den Farben des Herbstes von Braun, Rot und Gold, blieb der Baum imposant. Durch die Lücken im Blätterdach konnte Yevgenji den integrierten Palast sehen und davor Plattformen, Terrassen, Balkone. Das Gebiet rings um das Schloss war von einem sanft glitzernden Schleier umgeben, der wie eine darübergestülpte Glocke wirkte.
Jäher Schmerz erfasste Yevgenji. »Ich war einfach zu lange fort«, murmelte er.
»Wir alle werden bald heimkehren«, sagte Arun munter.
Die
Cyria Rani
meldete ihre Ankunft mit lautem Pfeifen an. Gleich darauf öffnete sich die magische Barriere, und das Schiff schwebte sanft hindurch und sank ein Stück hinab, bevor es Anker warf. Unten liefen schon die Leute zusammen. Neben dem heruntergelassenen Fallreep wartete ein in kostbare Brokatgewänder gehüllter Hirschköpfiger.
»Brodhaer ließ Euch bereits ankündigen«, begrüßte der Corvide sie und neigte leicht das Geweih. »Ich bin Regiatus, Erster Berater. Ich werde Euch zu König Fanmór führen. Wenn Ihr mir bitte folgen wollt.«
»Danke für den schnellen und unkonventionellen Empfang«, sagte Yevgenji.
Regiatus geleitete ihn und seine Begleiter über eine gewundene Treppe direkt hinauf in den Thronsaal, wo Fanmór sie auf seinem Thronsitz erwartete. An der linken Seite standen seine Berater, allen voran die auffällig schöne Blaue Dame, von der Yevgenji schon gehört hatte. Hofschranzen waren keine anwesend, nur an der rechten Seite standen eine ätherische Elfe und eine Amme, die einen Säugling im Arm hielt.
»Rhiannon!«, schrie Arun und rannte los, bevor Yevgenji oder der entsetzte Naburo ihn aufhalten konnten. Regiatus hielt die Wachen mit einer raschen Geste auf, während der Korsar quer durch die Halle auf die Prinzessin zustürmte, sie in seine Arme riss, dann an der Taille packte und hochhob.
Rhiannon lachte, und der Säugling krähte fröhlich, worauf eine Blütenexplosion vom Astdach herabregnete.
Der Hochkönig, in der Tat ein imposanter, sehr streng aussehender Riese, war drauf und dran, von seinem Thron zu springen, um Arun unter seinen Stiefeln zu zertreten. Einzig der Pirat merkte nicht, in welcher Gefahr er sich befand; er hatte überhaupt nur Augen für Rhiannon, die er, immer noch erhoben, mit sich im Kreis drehte.
Fanmór hielt abrupt inne, und auf sein Gesicht trat ein erstaunter Ausdruck. »Du lachst?« Seine Stimme, obwohl gedämpft, dröhnte durch die Halle.
»Lass mich schon runter, du Tölpel.« Die Prinzessin kicherte.
Arun tat ihr ungern den Gefallen und strahlte sie hingerissen an. »Du bist noch schöner, als ich es in Erinnerung hatte …«
»Nicht mehr so abgerissen, ich weiß.« Sie hielt sich den Handrücken vor den Mund, um das Lachen zu unterdrücken, ergriff seine Hand und zog ihn mit vor den Thron ihres Vaters. Dann verneigte sie sich leicht und trat Arun auf den Fuß, der stocksteif stehen geblieben war. Erst nach dieser Ermahnung erinnerte er sich an einen kümmerlichen Rest guter Erziehung und senkte den Kopf. »Vater, das ist Arun, Korsar der Sieben Stürme, der mich in der Andamanensee vor der Opferung rettete.«
»Da wäre ich nie draufgekommen«, gab der Riese zurück. »Arun, Ihr habt meine Tochter zum Lachen gebracht. Das ist seit ihrer Rückkehr in diese Hallen nicht mehr vorgekommen, deswegen gebührt Euch Dank. Ich sehe Euch Euer ungebührliches Verhalten nach.«
Regiatus trat nach vorn und räusperte sich vernehmlich. »Wenn ich dann die übrige Vorstellung vornehmen dürfte …« Dabei warf er Arun einen strengen Blick zu, doch der Korsar grinste verschmitzt zurück und hob die Schultern.
»Ich darf anmelden: General Naburo und der Shishi Kush aus Bóya sowie General Yevgenji aus Zyma, der um diese dringende Audienz bat.«
Fanmór nickte Naburo zu. »Ich habe schon von Eurer tatkräftigen Unterstützung erfahren. Es freut mich, dass die Tenna uns zu Hilfe geeilt ist.«
»Sie lässt Euch Grüße in Zuneigung und Freundschaft ausrichten«, antwortete der Mandeläugige und verbeugte sich.
»Ist Nadja denn nicht da?«, plapperte Kush vorlaut dazwischen, und Fanmór sah ihn irritiert an.
»Kush!«, zischte Naburo.
Der Riese rieb sich die Schläfen und winkte dann müde ab. »Nein,
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