Schartz, S: Elfenzeit 20: Der Atem der Unsterblichkeit
Seitengang herein. »Die neue Ordnung bewährt sich, das Reich wächst und gedeiht, und das Volk ist zufrieden.« Der Kopf drehte sich zu den Neuankömmlingen. »Ist es nicht so, ihr Volksräte?«
»Aber gewiss doch!«, rief Itys strahlend. »Und wir haben noch viel vor! Was nicht bedeutet, dass wir die Göttlichen nicht mehr ehren.« Ehrerbietig verneigte er sich vor Poseidons Sohn.
Atlas winkte ab. »Ich weiß das, Itys, und ich bin froh, diese Verantwortung endlich los zu sein. Ihr leistet gute Arbeit. Nur Telas hat immer etwas zu nörgeln.« Der ehemalige König stand auf. »Komm, kleiner Bruder, gehen wir ins Bad und nehmen eine kleine Mahlzeit zu uns, das wird dich auf versöhnlichere Gedanken bringen. Du isst zu wenig, das ist es!«
Notgedrungen begleitete der Bucklige seinen hochgewachsenen Bruder, doch der Blick, den er dem Getreuen zuwarf, war so voll glühenden Hasses, dass sich die Luft zwischen ihnen beinahe entzündet hätte.
Nadjas Herz pochte schneller, als sie merkte, wie sich die Aufmerksamkeit des Getreuen nun auf sie richtete.
»Itys, bringst du einen Gast an den Hof?«
»Ja, alter Freund. Sie fiel mir sozusagen vor die Füße, und da ich und meine Freunde ohnehin zur Ratsversammlung unterwegs sind, dachte ich, ihr könne hier geholfen werden. Sie braucht Rat wegen der Rückkehr …«
»Ich werde für ihr Wohlergehen sorgen. Geh nur, Itys, die anderen warten schon.«
Itys wirkte erleichtert. »Meine Liebe, du bist in besten Händen.« Dann eilte er ohne weiteren Abschied mit seiner Gefolgschaft durch einen nach rechts führenden Gang davon.
Nadja rührte sich nicht, während der Getreue langsam auf sie zukam und sie von oben bis unten musterte. Selbst in der dicksten Rüstung hätte sie sich nackt vor ihm gefühlt. Doch da er sie ohnehin schon völlig unverhüllt kannte, körperlich wie seelisch, ließ sie ein Schamgefühl gar nicht erst aufkommen. Darüber war sie hinaus, zumindest ihm gegenüber.
»Aus welcher Zeit stammst du?«, fragte er mit ruhiger Stimme, die zwar tief klang, jedoch nicht so heiser und wie aus dem Grab hallend wie sonst. Auch die übliche Kälte war nicht zu spüren.
»Aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert«, entfuhr es Nadja, bevor ihr einfiel, dass es in Atlantis keinerlei Bezug dazu gab. »Ich habe keine Ahnung, wie viele Jahrzehntausende das in der Zukunft liegt, aber es dürften einige sein. Wahrscheinlich mehr als hunderttausend Jahre.«
»Und du weißt, wer ich bin.« Das war eine Feststellung, keine Frage.
»Bei uns nennt man dich den Getreuen.«
»Das ist auch hier der Fall.« Er legte den Kopf leicht schief. »Ich habe das seltsame Gefühl, als müsste ich dich kennen.«
Und Nadja hatte das seltsame Gefühl, als wäre das die skurrilste Situation von allen. Er war es und doch wieder nicht. Wie sollte sie mit ihm umgehen? »Ich bin Nadja«, stellte sie sich vor. »Und ich habe ein ziemliches Problem.«
»Sicher.« Er nickte. »Du musst in deine Zeit zurück. Doch das ist nicht so einfach.« Er bedeutete ihr, ihm zu folgen. »Komm.«
Nadja begleitete den Getreuen durch eine Vielzahl von Gängen in einen abgeschiedeneren Teil des Turmgebäudes, dann betraten sie den Zugang zu einem Seitenturm und stiegen ihn hinauf. Auf halber Höhe öffnete der Getreue eine Tür, und Nadja stand auf einer Terrasse mit Bäumen, einem Springbrunnen, Orchideenbeeten und zwei aufwendig geschnitzten Marmorsitzen.
»Hier sind wir ungestört. Nicht jeder sollte hören, was wir zu bereden haben.« Der Getreue ließ sich auf einem Sitz nieder, und Nadja nahm ein wenig unsicher auf dem anderen Platz. Gleich darauf schwirrte es in der Luft, und geflügelte Diener trugen einen Tisch mit allerlei Genüssen und Getränken herbei, den sie vorsichtig absetzten.
Sehr zu Nadjas Überraschung schlug der Getreue die Kapuze zurück und bediente sich. Sein Gesicht unterschied sich in nichts von dem, das sie in Warqla erblickt hatte.
»Greif zu«, forderte er sie auf, und sie kam dem gern nach. »Du wirkst erstaunt.«
»Kein Wunder. In meiner Zeit bist du … anders.«
»Wie bin ich denn?«
»Finster. Gewalttätig. Mörderisch. Der personifizierte Albtraum.«
Er lächelte, während er sich und Nadja Wein eingoss und ihr den Pokal reichte. »Das bin ich hier ebenfalls. Doch derzeit gibt es keinen Grund dafür; alles läuft so, wie ich es will. Da kann ich mich nachsichtig zeigen.«
»Verstehe ich das richtig, dass du die Demokratie eingeführt hast?«, fragte Nadja zwischen zwei
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