Schatten Blut
gab ich mit einem Lächeln zurück und sie stieß zischend die Luft aus. »Unfug! Man hat immer eine Wahl!«
Mein Lächeln wurde milder und ich fühlte, wie sich meine Sympathie für diese mütterliche Frau weiter ausbreitete. »Wie oft schon«, tastete ich mich voran, »haben Sie selbst versucht, dem hier zu entkommen, Eileen? Und was war es, was sie hier festhielt?« Ich erwartete wahrlich keine Antwort. »Die Blicke, die Sie mit Ihrem Mann wechseln, sprechen eine eigene Sprache.«
Sie seufzte, sah auf unsere Hände und mir wieder in die Augen. »Ach Kindchen. Sie haben Recht, ohne meinen Jason wäre ich längst nicht mehr hier. Aber ihn zu bewegen, seinen Herrn zu verlassen, wäre so als würde ich ihm den Kopf abschlagen. Ohne meinen Jason möchte ich nicht mehr sein. Doch trotz der vielen Jahre, die ich in diesen Haushalt verbracht habe, habe ich nie so ganz meine Angst vor den Geschehnissen verloren, die sich hier abspielen. Ich möchte nicht, dass es Ihnen genau so geht, Faye.«
Zum ersten Mal nannte sie mich bei meinem Namen und ich hatte auf einmal das Gefühl, mein Herz laufe über. Was war nur los mit mir? Wirst du plötzlich weich, Faye McNamara?
»Ich habe keine Angst vor dem, was hier geschieht, Eileen. Ich hätte mehr Angst vor dem, was da draußen auf mich warten könnte, würde ich diese schützenden Mauern verlassen. Zum Gehen ist es schon zu spät. Ich kann und will das Schicksal nicht wenden, Eileen. Genauso wie es Ihnen unmöglich ist, Ihr eigenes Schicksal zu wenden.« Ein Schmunzeln huschte über meine Lippen. »Und ich möchte auch gar nicht von hier fort.«
Diesmal nickte sie knapp, lächelte gequält und unterstrich mit einer allumfassenden Geste ihre nächsten Worte: »Diese Mauern und ihre Bewohner haben eine unvorstellbare Macht über die Herzen von uns Frauen.«
»Ich nehme eher an, dass es die Bewohner sind, Eileen.« Diesmal lachten wir beide laut auf. Sie stand auf, nahm die Teekanne, füllte unsere Tassen neu und zwinkerte mir dabei verschwörerisch zu: »Sagen Sie es bloß nicht weiter, aber ich habe diesen Ort insgeheim schon als Vorhof zur Hölle betitelt. Jason hört es nicht gern, wenn ich so etwas von mir gebe.«
»Kann ich mir denken«, meinte ich verhalten und nahm einen kleinen Schluck Tee. »Er ist Darian sehr ergeben.«
»Oh ja, das ist er.« Sie nickte heftig. »Nichts, nicht einmal ich, kann ihn dazu bewegen, seinen Herrn zu verlassen. Und ich befürchte, nur der Tod wird sie trennen.«
»Na, das wird hoffentlich noch lange auf sich warten lassen«, pflichtete ich ihr bei. »Wie ist Jason eigentlich an Darian geraten?«
»Fragen Sie lieber, wie Mr. Knight an meinen Jason geraten ist, Kindchen.« Ob meines Blickes kicherte sie leise. »Herrje, ich weiß gar nicht, ob es ihm Recht ist, wenn ich es Ihnen erzähle.«
»Ich werde es nicht verraten«, flüstere ich und meine Neugierde wuchs ins Unermessliche.
Verstohlen sah Eileen sich um, schlich zur Tür, spähte in den Gang und kam zurück zum Tisch. Nachdem sie sich gesetzt hatte, beugte sie sich zu mir und ihre Stimme war sehr leise: »Ich kann Ihnen nur das erzählen, was ich von Jason selbst erfahren habe. Er war wohl noch ein Baby, als Mr. Knight ihn fand. Seine Eltern wurden in einer schmalen Gasse ermordet, das Baby dabei übersehen. Mr. Knight muss ihn dort gefunden und mitgenommen haben.« Sie lächelte warm. »Auch wenn er einer dieser Bestien ist, er hat ein sehr gutes Herz.«
Ich nickte. Hatte ich dieses Herz nicht schon selbst entdecken dürfen?
Darian hatte Jason also großgezogen. Erstaunlich war es allemal.
Und es warf auf Beide ein völlig neues Licht. Nun war mir klar, warum Jason so viel über Darian wusste und sich Dinge erlaubte, die einem anderen wahrscheinlich den Kopf gekostet hätten. Jason war Darians Ziehsohn! Wobei diese Vorstellung eine gewisse Komik enthielt, denn Jason wirkte inzwischen um ein Vielfaches älter als sein Vater.
»Wie alt ist Jason eigentlich?« konnte ich meine Neugierde nicht im Zaum halten.
Eileen grinste. »Nächsten Monat wird er dreiundsiebzig. Aber sagen Sie bloß nicht, dass Sie das von mir haben!«
Ich kicherte. »Gott bewahre. Ich weiß von nichts! Aber er hat sich verflixt gut gehalten für das Alter.«
»Nicht wahr?« Ihr Blick wurde kokett. »Das macht die gute Pflege, Frau Doktor.«
Unser Gelächter musste bis auf den Gang gedrungen sein, denn kurz drauf steckte mein neugieriger Vater den Kopf in den Raum. »Euch hört man bis in die Halle,
Weitere Kostenlose Bücher