Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)
säuberlich aufgereiht in ihren Ständern. Automatisch setzte
Michael sein Glas ab und griff nach einer schwarzen Westerngitarre.
Mit gekonnten Fingerbewegungen
entlockte er ihr die schönsten Töne und in den hohen Räumen ergab alles einem
vollen, klaren Klang. Das Lied kam mir bekannt vor, ein Überbleibsel aus einer
weit entfernten Vergangenheit. Ich träumte der Melodie nach, während ich den
kleinen Lichtern der Autos folgte, die hinter den Fensterscheiben ihre Bahnen
zogen.
Und ich sang. Es passierte einfach so
und ich sang. Es war keine Entscheidung, es war einfach da und ich hörte, wie
meine eigene Stimme den Raum erfüllte. Und ich fühlte, wie auch in mir Stück
für Stück das Leben wieder zurückfand. Jede Faser meines Körpers wurde von den
Vibrationen der Klänge durchströmt und ich ließ mich einfach treiben – blind
und doch sehend.
Das Leben hatte mich wieder, ein
neues Leben. Die Leere war geschrumpft und jede Note schien sie weiter zu füllen.
Es gab kein großes schwarzes Loch mehr, das mich von innen heraus aufzufressen
drohte. Versiegelt durch die Kraft der Musik, die mir so lange abhandengekommen
war.
Doch konnte es so einfach sein?
Nachdem die letzten Akkorde aus der
Gitarre drangen, legte Michael sie behutsam beiseite und ergriff erneut sein
Glas. »Nicht mal schlecht nach all den Jahren, oder?«, sagte er andächtig und
ich stieß mit ihm auf diesen schönen Moment an.
Ja, es konnte so einfach sein. Es war
selbstverständlich, einfach und es war wundervoll.
»Gutes gehört eben zusammen«, fügte
er hinzu, ergriff erneut seine Gitarre und wir begaben uns auf eine neue Reise
– alles anders und doch gleich. So wie früher, als es manchmal nur uns beide
und die Musik gegeben hatte. Nur das – ausreichend, um ein ganzes Leben zu
füllen.
Kapitel 31
Michael war die Ruhe selbst, als wir
an der Tür angelangten. Ganz im Gegensatz zu mir, wo doch diese Tür die reinste
Folter für mich bereithielt.
»Und du bist sicher, dass du das hier
mitmachen willst?«, fragte ich ihn und hatte Angst, dass er es sich wirklich
noch anders überlegen würde. Ich konnte mir immer noch nicht erklären, warum er
einfach so eingewilligt hatte, mich hierher zu begleiten.
»Ich habe kein Problem damit. Im
Gegensatz zu dir, wie mir scheint. Wenn du mich nicht dabei haben möchtest, ich
kann auch wieder gehen.« Begierig musterte er meine Reaktion auf seine letzten
Worte.
»Nein! Bitte bleib! Ich glaube ohne
dich könnte ich es noch weniger ertragen.«
Aufmunternd ergriff er meine Hand und
ich klingelte. Keine Minute später wurden wir eingelassen und standen in einem
Flur voller hellblauer und rosafarbener Luftballons. Natascha, die uns die Tür
geöffnet hatte, wirkte irritiert. Ich hatte ihr nicht gesagt, dass ich in
Begleitung kommen würde. Das hätte im Vorfeld nur Stoff für vielerlei
Diskussionen gegeben, auf die ich absolut keine Lust hatte. Nichts desto trotz
umarmte sie mich herzlich und reichte meinem Begleiter etwas abschätzend die
Hand.
»Das ist Michael. Ich hoffe es ist
kein Problem, dass ich ihn mitgebracht habe?«, fragte ich sie.
»Aber nein absolut nicht«, schüttelte
sie den Kopf. » Dein Freund ist auch unser Freund«, und schon wurden wir
tiefer in das farbenfrohe Wunder einer Wohnung hineingezogen.
»Er ist nicht mein Freund, er ist…«,
versuchte ich noch zu korrigieren, aber es war bereits zu spät. Die anderen
Gäste waren schon im Wohnzimmer versammelt, anscheinend waren wir die letzten.
Sie alle sahen synchron zu uns auf, als würden wir beide als Angeklagte vor
einem Untersuchungsausschuss stehen, der darüber beriet, ob dies hier alles
rechtens sei.
»Schaut, wer auch endlich
eingetrudelt ist«, zwitscherte Jessica vom Sofa aus. Behände sprang sie auf und
nahm mich in die Arme. »Hättest mich ja ruhig mal einweihen können, mit wem du
die letzten Nächte verbracht hast«, flüsterte sie mir etwas enttäuscht klingend
ins Ohr und wand sich kurz darauf Michael zu. »Ist ja schon ‘ne ganze Weile
her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben.«
»Ich freue mich auch, dich wieder zu
sehen Jessica«, konterte Michael souverän und gab ihr einen etwas
überkandidelten Handkuss. Ich beneidete ihn augenblicklich um seine
Selbstsicherheit.
Warum war es für mich nicht solch
eine Selbstverständlichkeit wie es offenbar für ihn war? Das alles schien ihm
in keiner Weise unangenehm zu sein und ich schämte mich für meine Gefühle, für
meine Unsicherheit.
Mit
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