Schatten der Liebe
einem wütenden Matt bei weitem nicht so einfach sein würde, wie er es dargestellt hatte.
»Ich fahre jetzt besser«, sagte sie, und dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und drückte ihm einen Kuß auf die Wange. Seine Arme umfingen sie, und er drückte sie väterlich fest an sich. Diese Geste gab ihr fast den Rest. Sie konnte sich nicht erinnern, daß ihr Vater sie jemals auch nur in den Arm genommen hatte.
Nachdem Meredith gegangen war, schwieg Patrick einige Minuten, dann drehte er sich um und blinzelte Joe zu, der, an den Türstock zur Küche gelehnt, den zweiten Teil der Szene belauscht hatte. »Nun«, fragte er mit einem jungenhaften Grinsen, »was hältst du von meiner Schwiegertochter?«
Joe kam langsam ins Wohnzimmer geschlendert, musterte Patricks zufriedenen Gesichtsausdruck und runzelte die Stirn. »Du hoffst, daß Matt sie nicht mehr gehen läßt, wenn sie ihm erst einmal die ganze Geschichte erzählt und er sich wieder beruhigt hat, wie?« »Darauf zähle ich.«
»Fünf Dollar, daß er es nicht tut.«
Patricks Miene verdüsterte sich. »Du wettest dagegen?«
»Nun, normalerweise würde ich das nicht. Normalerweise würde ich zehn Scheinchen, nicht fünf, darauf setzen, daß Matt nur einen Blick auf ihr wunderschönes Gesicht werfen und die Tränen in ihren Augen sehen muß, um dann auf schnellstem Wege mit ihr ins Bett zu gehen.«
»Und warum, glaubst du, daß er es nicht tut?«
»Weil er krank ist, deshalb.«
Patrick entspannte sich und grinste süffisant. »So krank ist er bestimmt nicht.«
»Er ist verdammt krank!« beharrte Joe stur. »Er hat schon die ganze Woche die Grippe und ist trotzdem nach New York geflogen. Als ich ihn gestern am Flughafen abgeholt habe, hat er so gehustet, daß mir ganz übel geworden ist.«
»Erhöhst du die Wette um zehn Dollar?«
»Sicher.«
Sie setzten sich, um das Schachspiel zu beenden, aber Joe zögerte. »Patrick, ich trete von der Wette zurück. Es ist nicht fair, dir die zehn Scheinchen abzuknöpfen. Du hast Matt die Woche über kaum gesehen. Ich garantiere dir, er ist zu krank und zu sauer, um sie bei sich auf der Farm behalten zu wollen.«
»Er ist vielleicht sauer, aber so krank ist er bestimmt nicht.«
»Wieso bist du dir da so sicher?«
»Zufällig weiß ich«, sagte Patrick und gab vor, sich auf seinen nächsten Zug auf dem Schachbrett vorzubereiten, »daß Matt beim Arzt war, bevor er nach Indiana gefahren ist, und daß der ihm etwas verschrieben hat. Er hat mich von unterwegs angerufen und gesagt, daß er sich schon viel besser fühlt.«
»Du bluffst - du zwinkerst ja!«
»Erhöhst du die Wette nun oder nicht?«
29
Als Meredith mit ihrer Reisetasche in der Hand ihre Wohnung verließ, schneite es kaum, aber sie war noch keine Stunde unterwegs, als ein schlimmer Schneesturm einsetzte. Räum- und Streufahrzeuge waren auf dem Highway unterwegs, ihre gelben Signallichter blinkten in der Dunkelheit.
Nach einer langen, beschwerlichen Fahrt hielt sie endlich vor der kleinen Holzbrücke, die sie zuletzt im August vor elf Jahren gesehen hatte; sie lag jetzt unter einer fast zwanzig Zentimeter hohen Schneedecke. Mit durchdrehenden Rädern schlitterte der BMW darüber hinweg, dann faßten die Reifen wieder, und bald hatte sie den Hof vor dem Farmhaus erreicht. In dem fahlen Mondlicht, das die schneebedeckten Felder reflektierten, kamen ihr die kahlen Bäume vor wie gespenstische, verzerrte Versionen jenes lang vergangenen, wundervoll üppig-grünen Sommers. Sie warfen ihren düsteren Schatten auf das weißgestrichene Haus, als ob es sie warnen wollten. Meredith schauert, während sie die Scheinwerfer ausschaltete und den Motor abstellte. Durch ein Fenster im oberen Stock drang ein blasser Lichtstrahl ins Freie. Matt war hier, und er war noch wach. Und er würde einen Tobsuchtsanfall bekommen, wenn er sie sah.
Sie lehnte sich in ihrem Sitz zurück und schloß die Augen, um den nötigen Mut zu fassen. Und in diesem Augenblick, allein im Auto, eine ungeheure Aufgabe vor sich, bat Meredith zum ersten Mal seit elf Jahren eine höhere Instanz um Hilfe. »Bitte, lieber Gott«, flüsterte sie, »mach, daß er mir glaubt.«
Dann öffnete sie die Augen, setzte sich auf, zog den Zündschlüssel ab, griff nach ihrer Handtasche und stieg aus. Plötzlich ging die Außenbeleuchtung an. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie sah, wie die Haustür aufging. Vor Schreck darüber ließ sie die Autoschlüssel in den Schnee neben dem rechten Reifen fallen.
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